Der hypnosetherapeutische Vertrag




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hypnosetherapeutische
Vertrag

Text 19

Der „hypnosetherapeutische Vertrag“ mit dem Patienten: Keine „Fake-Versprechungen“!

Ich sehe Herrn M. (er könnte auch N. oder O. oder P. heissen) zum ersten Mal. Schwungvoll hat er mir gegenüber Platz genommen und sich gleich höflich vorgestellt. Er weiss, dass ich Arzt bin und mit Hypnose arbeite. Mir ist somit augenblicklich klar, dass er mit meiner Person und meinen Künsten eine unbekannte Menge heimlicher Erwartungen und Hoffnungen verbindet, die für ihn zu erfüllen ich auserwählt bin. Meine Erfahrung wie auch meine Intuition meinen aber, dass dies ziemlich sicher so einfach nicht sein wird. Nun gut... „Wie sag’ ich’s meinem Kinde?“ Oder gibt es vielleicht irgendetwas, das ich ihm mit gutem Gewissen versprechen könnte, egal was sein Anliegen beinhalten wird? Vielleicht dies:




„Ich kann für Sie nicht mehr tun, als mit Ihnen in Hypnose nach bestehenden aber noch nicht aktiven Ressourcen in Ihrem Unbewussten auf die Suche zu gehen. Das werde ich zuverlässig tun, solange Sie mitmachen.“




Ich denke, ein weiter gehendes Versprechen – aber auch umgekehrt, weniger zu versprechen – würde zwangsläufig aufs Glatteis führen. Ein Versprechen bindet zwar und bildet grundsätzlich Vertrauen... aber nur wenn es eingehalten werden kann.

Das Dilemma

Der Ruf, mit Hypnose zu arbeiten, bringt uns, mehr als Kollegen anderer Therapierichtungen, in eine ungemütliche Lage. Auf der einen Seite türmen sich vor uns die ahnungsvollen Erwartungen der Patienten, die sich von uns Einwirkungen erhoffen, die oft nicht weit weg von Wundern sind – wenn auch nicht alle ganz unberechtigt daherkommen. Andererseits lauert aus allen Richtungen rund um diese Heilsvorstellungen die gnadenlos unbestechliche Realität. Und dazwischen stehen wir. Das heisst, wir dürfen zwischen zwei recht unattraktiven Rollen wählen, die eines Mitläufers oder die des Spielverderbers. Welche bevorzugen Sie?

Für den Patienten zeigt sich die Kluft zwischen Hoffnung und Realität in einem zeitlichen Abstand, nämlich vor und nach der Hypnose. Das Dilemma des Therapeuten besteht aber von Anfang an.


Die Sicht des Patienten ...

Steigen Sie kurz einmal in die Kleider eines zeitlebens von unerträglichen Migräneattacken geplagten Menschen. Sie erfahren, dass ihre Nachbarin in genau einer einzigen Hypnosesitzung von ihrer Migräne befreit wurde. Da schnellt augenblicklich die Kompassnadel Ihrer Hoffnung in Richtung „Hypnose“ und lässt diese Richtung nicht mehr los. Dieser Sog wird noch vervielfacht, wenn Sie irgendwo lesen: „Wissenschaftliche Forscher haben endlich nachgewiesen: Hypnose hilft gegen Migräne!“. Da muss schnellstens ein Hypnotiseur her!

Aber am Ende hat die Realität zugeschlagen, und es hat bei Ihnen doch nicht funktioniert. Ihre ernüchternde Erfahrung ist, dass die Hypnosesitzungen (nicht eine!) wohl eine gewisse Entspannung und hübsche Bilder brachten, mehr nicht. Ihre Migränen beherrschen Sie weiterhin. Und Sie zweifeln: War es überhaupt Hypnose? Oder war der Hypnosearzt ungeeignet? Waren seine Suggestionen zu schwach, oder war er zu lieb mit Ihrer Migräne?


Die vielfache Not des Therapeuten ...

Angesichts dieses Rohrkrepierers muss ich mich nun, in der Funktion des vielleicht noch nicht sehr erfahrenen Therapeuten, hinterfragen: Habe wirklich ich da versagt? Habe ich die falschen Suggestionen gegeben? Hätte ich wissen können oder sollen, dass es gerade bei Ihnen nicht funktionieren wird? Aber wie findet man so etwas heraus? Ich hatte ja nur, in frommem Glauben an die Macht Ihres Unbewussten, Ihre Erwartungen übernommen (mich selber dabei offenbar auch...) und unterstützt („Jaja, das kriegen wir schon hin!“). Oder liegt es doch eher an Ihnen als Patient? Vielleicht haben Sie sich einfach nicht genug eingelassen? Oder Sie waren schlicht ungenügend hypnotisierbar. Ich hätte das vermutlich testen müssen ... Kurzum, ich gerate in eine Suche nach einem Versager, einem Schuldigen. Eigentlich eine ungesunde Sache.

Soll ich klugerweise beim nächsten Mal meine Seriosität spielen lassen und die wissenschaftlich widerlegbaren Aspekte der Hoffnungen meiner Patienten mit statistisch begründeten Prognosen kontern („Flucht in die Wissenschaft“)? Aus therapeutischer Sicht keine geniale Idee. Denn damit setze ich die gesamte, positive Erwartungshaltung des Patienten aufs Spiel. Und wenn diese weggefegt wird, fehlt für therapeutische Veränderungen eine der wichtigsten Grundlagen. Zudem dürfte es recht schwierig sein, valide Unterscheidungskriterien zu finden, die im Voraus stichhaltig voneinander trennen könnten, welche Hoffnungen realistisch sind und welche nicht.

Weder darf ich mich also mittreiben lassen noch darf ich kontern. Was bleibt noch?

Einfach blindlings drauflos hypnotisieren kommt nicht in Frage. Genau so machen es ja die Laienhypnotiseure. Schliesslich sind wir als studierte Therapeuten darauf getrimmt, zuerst zu verstehen und dann erst zu handeln. Zuerst ein klares, pathogenetisches Verständnis des Problems erarbeiten, und dann erst sich die hypnosetherapeutischen Ärmel hochkrempeln. Sonst geht es schief, und dann verlieren wir Ansehen und Patienten! Ein gesichertes, evidenzbasiertes Wissen bedeutet, dass wir ein statistisches Outcome prophezeien können, und dies vermittelt Sicherheit (zumindest das Gefühl davon...). Angesichts der Irrationalität der Hypnose ist das Bedürfnis nach irgendeiner Form von Sicherung berechtigt. Ist aber diese akademische Art, sich ein Gefühl von Souveränität zu erarbeiten, nicht viel eher ein irrationales Relikt unserer universitären intellektuell-rationalen Vergangenheit als ein wirklich sicherer Boden, um mit Hypnose zu arbeiten? Sind nicht Vertrauen und neugierige Flexibilität letztlich für uns sicherer?

Das Gelingen einer Trancearbeit hängt von unüberschaubar vielen Faktoren ab. Allen stehen die vorhandenen und die nicht vorhandenen Ressourcen des Patienten voran. Nicht minder entscheidend sind auch die Hintergründe der Erkrankung, der richtige Zeitpunkt für die Behandlung, die therapeutische Beziehung usw.. So litt vielleicht Ihre Nachbarin und Leidensgenossin zwar unter denselben Krankheitszeichen wie Sie, aber nicht unbedingt unter derselben Krankheit. Mit grosser Wahrscheinlichkeit lebte sie auch in einem anderen Kontext als Sie. Und ziemlich sicher verfügte sie über anders geartete Ressourcen als Sie. Wer wollte dann prophezeien, dass die Hypnose bei Ihnen auch das Gleiche bewirken sollte?

Der Ausweg

Es mag einem wie ein Zaubertrick vorkommen: Mit dem „hypnosetherapeutischen Vertrag“ geben wir aber eigentlich nur die Idee auf, in der Arbeit mit Patienten allgemein bekanntes Wissen als sichernde Leitlinie einsetzen zu wollen. Dafür schalten wir den Modus „Suchen“ ein. Und schon hat sich jeder unnötige Druck abgeschüttelt. Wir prophezeien zu den Erwartungen nichts über deren Erfüllung oder Nicht-Erfüllung. Wir nehmen sie vielmehr mit ins Gepäck auf die Entdeckungsreise ins Innere des Patienten und machen sie uns zu immer neu sich wandelnden Marksteinen auf diesem Weg. Gleichzeitig machen wir den Patienten zunehmend zu einem neugierigen Verbündeten auf diesem Mix von Schnitzeljagd und Schatzsuche, mit dem glücklichen Nebeneffekt, dass es ihn immer mehr von seiner leidenden Opferposition entfernt.

Was bringt dieses Versprechen alles mit sich?

Zur Erinnerung nochmals kurz den Wortlaut des „hypnosetherapeutischen Vertrags“:




„Ich kann für Sie nicht mehr tun, als mit Ihnen in Hypnose nach bestehenden aber noch nicht aktiven Ressourcen in Ihrem Unbewussten auf die Suche zu gehen. Das werde ich zuverlässig tun, solange Sie mitmachen.“




Für den Patienten bedeutet der Vertrag:

  • Von Anfang an ist für mich klar, dass nicht der Therapeut, und auch nicht seine Worte mich heilen oder meine Probleme lösen werden.“

Der Therapeut kennt offenbar seine Grenzen und zeigt in dieser Hinsicht Transparenz. Die Grenzen sind klar: Er wird also auch die Grenzen des Patienten respektieren. Analog kann sich letzterer vielleicht auch eingeladen fühlen, seine eigenen Grenzen besser akzeptieren und definieren zu lernen.

  • „Mein Hypnosetherapeut wird nur ein – unerlässlicher – Begleiter auf meiner Suche sein.“

Er will nicht „gscheiter“ sein als seine Patienten, und er macht auch keine leeren Versprechungen. Aber er strahlt Sicherheit aus, um sich mit ihnen ins Unsichere zu wagen.

  • „Er zweifelt meine Erwartungen und Hoffnungen nicht an.“

Er verbündet sich mit dem Patienten, lässt sich aber von ihm nicht verführen.

  • „Mein Therapeut interessiert sich mehr für meine Ressourcen als für meine Probleme.“

Alles ist immer gierig nach den Problemen der Anderen... und alle wissen Lösungen... die dann aber nicht funktionieren. Dieser Therapeut aber fragt nach dem, was der Patient vielleicht noch alles kann bzw. könnte. Offenbar ist er der Ansicht, dass da mehr (unbewusstes) Potential vorhanden ist als bisher eingesetzt wurde. Tönt gut.

  • „Die Hypnose wird für uns ein Erforschungsinstrument sein.“

Die Hypnose, die grosse Geheimnisvolle, wird nicht Manipulationswerkzeug sein, sondern sie wird als „Forschungstool“ eingesetzt. Dies bedeutet nebenbei auch, dass der Therapeut aktiv etwas mit dem Patienten (zusammen) machen wird, und ihn nicht einfach nur reden und strampeln lässt.

  • „Es wird mich Aktivität kosten, dafür werden die Erfolge wirklich meine sein.“

Der Therapeut wird nicht an Stelle des Patienten arbeiten. Denn bei einem Erfolg gilt: Selber errungen ist doppelt gewonnen. Erstens ist er zustande gekommen, und zweitens wächst dadurch die Autonomie um einen weiteren Schritt.

  • „Wenn sich auch manche meiner Hoffnungen vielleicht als Illusionen erweisen werden, wird er trotzdem mit mir weiter arbeiten.“

Der Therapeut wird aufgrund dieses Vertrags an der Seite des Patienten bleiben, auch wenn die Erfolge, die sich der Patient erhoffte, nicht erzielt werden.

  • „Ich werde mich besser kennen lernen, reicher an Ressourcen.“

Der alte Spruch „Erkenne dich selbst“ ist wahrlich nicht neu, und ist nicht nur philosophisch wertvoll, sondern auch sehr nützlich, um sich konkret in den Wirren des Lebens zurechtzufinden.


Für uns Therapeuten:

  • Der „chirurgische“ Druck ist weg. Nicht ich bin der, der die Arbeit machen muss.

Andere Menschen kann man nicht ändern. Diese Weisheit ist in der Therapie ebenso wahr wie in der Ehe... Ändern kann man sich nur selber. Implizite Forderungen von Patienten wie: „Machen Sie mich gesund!“, versuchen, uns ins Reich der Unmöglichkeit zu katapultieren. Der „hypnosetherapeutische Vertrag“ bringt uns dann beide in das Feld der realen Möglichkeiten zurück: Mit der Hypnose kann ich nicht mehr als einen wirksamen Rahmen für die Arbeit des Patienten schaffen.

  • „Gelingt“ eine Hypnosetherapie nicht, so kann es sein, dass die nötigen Ressourcen beim Patienten einfach nicht vorhanden sind.

Dies bedeutet nicht, dass jemand von uns versagt hat. Es nützt nichts, weiter drauflos zu suggerieren und so zu tun, als gäbe es solche Ressourcen. Niemand hat wohl alle Potentiale, um alle Lebenshindernisse zu überwinden. Was wir in solchen Fällen weiter tun können, ist immer explorieren (s. Texte zu „Explorer), welche Möglichkeiten vielleicht in ganz anderen Bereichen sonst noch im Patienten darauf warten, erweckt zu werden.

  • Es fällt für uns ein bedeutender Ermüdungsfaktor weg – auch nach fünf oder mehr Hypnosen am selben Nachmittag.

Ermüdend am Arbeiten mit Hypnose ist allenfalls, wenn man sich ständig unter Druck setzt, etwas „richtig“ machen zu müssen, um das vom Patienten gesteckte Ziel zu erreichen. Daran stresst im Hintergrund vor allem die Vorstellung, als untauglicher Hypnosetherapeut entlarvt zu werden.

  • Die Arbeit mit Hypnose wird für uns noch spannender und dankbarer, und sie wird nie zur Routine werden.

Wenn wir irgendwelche Beschwerden nach fixem Plan behandeln, beispielsweise mit bestimmten, bewährten Suggestionen oder Metaphern, dann wird das Interessanteste daran sein, ob es diesmal auch funktioniert oder nicht. Dieser Poker wird mit der Zeit aber immer weniger spannend. Wenn wir hingegen jeden neuen Patienten wie einen unbekannten, geheimnisvollen Reisegast sehen, mit dem wir sein Land erforschen, kann unsere Lust an der Arbeit eigentlich nie erlahmen.

  • Last but not least: Mein Versprechen kann und werde ich in jedem Fall einhalten können.

Unabhängig vom Resultat, bleibe ich – und besonders auch die Hypnose – vertrauenswürdig.

Zudem schaden „misslungene“ Hypnosen dem Ruf der Hypnose, mindestens bei den betroffenen Patienten. Diese verlieren fälschlicherweise den Glauben an die Methode anstatt einzusehen, dass sie falsche Erwartungen hatten.

Implizit oder explizit?

Sie haben sich vielleicht gefragt, ob ich jedem Patienten diesen Vertrag zu Beginn der Therapie in schriftlicher Form aushändige und dann mit beiden Unterschriften versehen in die Krankengeschichte einordne. Nein. Solange die „Qualitätssicherer“ dies noch nicht fordern, werde ich es nicht tun. Und wenn es so weit ist, werde ich aufhören zu arbeiten...

Im Normalfall brauche ich diesen „hypnosetherapeutischen Vertrag“ nicht einmal zu erwähnen: Denn wenn ich danach handle, fühlen sich die meisten Patienten darin automatisch zuhause.

Den „hypnosetherapeutischen Vertrag“ erkläre ich einem Patienten explizit nur in bestimmten Situationen, nämlich wenn er mit einem gewissen Druck Dinge von der Hypnose verlangt, die mich skeptisch lassen, z.B. bei verzweifelten Schmerzpatienten, oder bei Patienten mit ungewöhnlichen Symptomatiken, von denen ich wirklich nicht weiss, ob die Arbeit mit Hypnose ihnen diesbezüglich helfen wird oder nicht. Oft haben solche Menschen schon alles Mögliche in den Welten der Schul- und Alternativmedizin versucht und möchten jetzt noch als Schlussbouquet Hypnose ausprobieren. Sie bringen nicht einmal unbedingt einen magischen Erwartungsdruck der Hypnose gegenüber mit. Aber gerade für solche „vernünftige“ Patienten hat der „hypnosetherapeutische Vertrag“ oft eine ausgesprochen gute Anbindung an die hypnotische Arbeit zur Folge.

Zusammenfassend

Das Versprechen im „hypnosetherapeutischen Vertrag“ kann ich in jedem Fall einhalten, was mir selber eine wohltuende Sicherheit und lockere Gelassenheit in der Arbeit erlaubt.

Am liebsten mache ich mir die Haltung dieses Vertrags deutlich bewusst, schon bevor ich einen Patienten zu seinem ersten Termin sehe,. Wenn ich dann das Wartezimmer in dieser Stimmung betrete und ihn begrüsse, wird so in mir auch kein Erwartungsdruck entstehen, weder ein positiver noch ein negativer, und ich kann dem Patienten und seinen Ressourcen den ganzen Raum lassen.



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s. Diskussionsbeiträge vom 11.01.2019 Dr.med. Corinne Marti Häusler und lic.phil. Barbara Menn (Home -> Diskussion)