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Die "Modelltrance" 1. Teil
Für unsere Patienten Modell stehen gehört bestimmt nicht zu unserem primären Selbstverständnis als Hypnosetherapeuten. Und dennoch kann sich genau dies, unter bestimmten Bedingungen und mit präziser Zielsetzung, ganz förderlich in die Therapie einbringen lassen. Das Beispiel der Methode der «Modelltrance» führt uns dies vor Augen.
Die «Modelltrance» gehört, wie auch die schon früher besprochene «Sydenham-Trance» (s. Text Nr. 23), in die Reihe der «hypnotischen Identifikations-methoden». Dieser Gruppe von hypnotischen Interventionen ist gemeinsam, dass sich der Therapeut selber in Trance begibt und auf diesem Schleichweg einen Zugang zur Innenwelt des Patienten sucht.
Ein erstes Fallbeispiel
Die Überschwemmung
Herrn F. kenne ich noch nicht lange. Der 54-jährige, hagere Elektrotechniker wurde mir vor zwei Wochen von seinem Hausarzt mit einer Burnoutsymptomatik geschickt. Selber bezeichnet er sich als Mobbingopfer. In der ersten Sitzung redet er viel, sehr viel. In monotoner Sprache macht er mir des Langen und Breiten klar, wie er am Arbeitsplatz immer sein Bestes – und freiwillig noch viel mehr – gegeben hat. Und Pechvogel wie er ist, sah er sich immer nur inkompetenten Vorgesetzten ausgesetzt und musste sich mit faulen Mitarbeitern abmühen. Diese waren zudem alle auf ihn neidisch und arbeiteten heimlich gegen ihn.
Weil sich die zweite Sitzung im gleichen Stil weiterzieht, beginne ich bald, mich beim wohlwollenden Zuhören seiner Leidensgeschichte zunehmend unbeteiligt zu fühlen. Meine Aufmerksamkeit schweift ab, dafür formt sich langsam ein Bild in mir: Ein weit über seine Ufer getretener Fluss deckt das gesamte Tal unter seinen ockerfarbenen Fluten. Da sind keine Felder mehr und keine Strassen zu sehen, alles ist unter dem braunen Wasser verschwunden. Bauernhöfe stehen da, mit den Füssen im Wasser und scheinen zu staunen, und stemmen sich wie sie können, um nicht unterzugehen. Dazwischen treiben Baumstämme, Autoreifen, Kühlschränke und Bettgestelle meerwärts.
Mich berührt dieses Bild. Es amüsiert mich auch ein bisschen. Ich erkenne darin eine perfekte Erklärung für meine Teilnahmslosigkeit. Ich verspüre auch Mitgefühl für die Menschen, die mit ihm arbeiten müssen, wenn er so kommuniziert. Aber ebenso tut auch er mir leid, der mit seinen Überschwemmungen jeden lebendigen Kontakt abschrecken muss.
Therapeutisch lässt sich im Moment mit diesem Bild nicht viel anfangen: Würde ich es ihm jetzt schildern, wäre kaum zu erwarten, dass er einsichtsvoll reagieren und einen therapeutischen Nutzen daraus ziehen könnte. Viel wahrscheinlicher ist, dass er sich unverstanden und kritisiert fühlt. Er hätte auch Recht, denn dieses Bild symbolisiert nur seine Kommunikationsform und nicht sein inneres Leiden. Ich halte es also für strategisch vorsichtig, dieses Bild vorerst für mich zu behalten.
Ich lasse ihn vorerst weitererzählen, die Darstellung all seiner Mitarbeiter und Vorgesetzten in allen Einzelheiten ausführlich beschreiben. Allmählich festigt sich in mir die Überzeugung, dass in seinen Schilderungen – die sich nur in Details unterscheiden, sonst aber immer eine und dieselbe Geschichte eines unverstandenen Menschen bleiben – wohl nichts mehr wirklich Neues auftauchen wird.
Ich versuche, ihn zu unterbrechen, um ihm, meinen eigenen Prinzipien getreu1 , Hypnose vorzuschlagen. Zunächst liess sich keine akustische Lücke in seiner Rede finden, durch die ein Wort von mir hätte eindringen können. Aber auch bestimmteres Intervenieren mit zunehmender Lautstärke führte nicht weiter, als dass er mir natürlich sein Interesse an der Hypnose versicherte, aber zuerst musste er mir unbedingt noch sagen, dass… und weiter geht’s.
Hier beginnt die Modelltrance
So beschliesse ich, mich vom Inhalt seiner Ausführungen zu entfernen, und auditiv zu «defokussieren», indem ich meine Aufmerksamkeit auf Atmosphäre und Melodie richte, und mich dabei selbst beobachte: Welche Bilder oder Gefühle entstehen in mir? Mit abwesendem Blick lasse ich mich in eine Art von schwebender, neugieriger Trance nahe dem Wachzustand sinken, bleibe aber innerlich in fortwährendem, unbestimmtem Kontakt mit dem Patienten. Ich warte, gespannt was kommt.
Allmählich zeichnet sich ein neues Bild ab, zuerst nur skizzenhaft: Ein grauer Hinterhof. In einer Ecke duckt sich ein einsamer, zerzauster Hund, eine traurige Mischung zwischen vielleicht einem Pekinesen und einem Dackel. Unglücklich und sehnsüchtig bleibt sein stumpfer Blick am Boden haften. Plötzlich rennt er hastig und ziellos herum, bellt alles an. Eigentlich scheint er dabei Freunde zu suchen, um mit ihnen spielen zu können. Doch sind diese alle weit weg, irgendwo, und spielen ohne ihn.
Dieses Bild berührt mich nicht nur, sondern es lässt mich vermuten, dass es auch im Patienten etwas auslösen könnte.
Mit grosser Bestimmtheit und für ihn unvermittelt stoppe ich jetzt Herrn F. in seinem Redefluss: «Ich möchte Sie hier unterbrechen.» Er mustert mich flüchtig, sichtlich in seinen verbalen Startlöchern verharrend. Ich aber lasse ihm keine Zeit und schliesse sofort demonstrativ die Augen. Dabei fahre ich fort: «Wenn ich das, was Sie mir berichten, auf mich wirken lasse, kommt mir folgendes Bild.» Gleichzeitig lehne ich mich etwas zurück, mache es mir bequem, um klar zu signalisieren, dass ich jetzt innerlich ganz woanders bin, in meiner Trance.
Ich beginne nun, den Hof und meinen kleinen, verlorenen Hund zu beschreiben, in allen Details, die mir einfallen. Dabei entwickelt sich das Bild immer mehr: Der Hund rennt im Kreis herum, und plötzlich wird es Nacht, Mondschein. In seiner Einsamkeit heult der Kleine verzweifelt den Mond an, und als Echo, ganz leise und aus der Ferne, wird das Heulen eines anderen Hundes hörbar. Gleichzeitig verspüre ich ein dumpfes Stechen in meiner Herzgegend. Dies alles, einschliesslich meines Herzstechens, schildere ich Herrn F. mit geschlossenen Augen und in hypnotischer Sprache, mich oft wiederholend und recht leise, so dass er zuhören muss. Schliesslich öffne ich die Augen wieder und schliesse mit dem Satz: «Schauen Sie, das ist jetzt einfach ein Bild, das mir jetzt gekommen ist. Ich weiss nicht, ob es mit Ihrem Erleben etwas zu tun hat und ob es Ihnen etwas sagt?»
Vor mir sehe ich jetzt einen Herrn F., der mich recht verwundert anstarrt. Darauf war er nicht vorbereitet. Auch er ist offensichtlich in eine Trance geraten. Nach einer Weile: «Sie meinen… ich sei wie dieser Hund?» Ich lasse die Antwort offen, schaue ihn aber freundlich an und warte gespannt, wie es weitergeht.
Die Intervention «Modelltrance» endet hier, die Sitzung geht weiter.
Ein zentrales Ziel ist erreicht: Der überschwemmende Redefluss ist fürs Erste versiegt. Herr F. referiert nicht mehr uferlos über die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen. Stattdessen stellt er sich jetzt eine Frage über sich selbst. Die Umstellung auf Therapie ist gelungen, zumindest vorläufig. Eine leicht verunsicherte Selbstbetrachtung hat die sterile Externalisierung der Probleme («die Anderen sind an Allem schuld») abgelöst. Jetzt werden Veränderungen möglich. Dies war das Ziel dieser Modelltrance.
Herr F. bleibt nachdenklich, und nach einer kurzen Weile, in sich versunken, fügt er an: «Das Stechen im Herzen, das kenne ich.» «Ja?» «Zum Beispiel, wenn ich meinem Chef unerwartet im Geschäft begegne, und er mich nicht grüsst.»
Dem «konsequenten interaktiven Explorieren»2 folgend schlage ich ihm jetzt vor, die Augen zu schliessen, sich bequem einzurichten und sich nur zu achten, wie es sich jetzt in seiner Herzgegend anfühlt. Dies tut er. Zwar vermag er den Schmerz in der Brust nicht richtig zu fühlen, aber ein bisschen eng sei es ihm dort schon, meint er. Ich schlage ihm vor, seine Aufmerksamkeit bei dieser Wahrnehmung zu belassen, nur neugierig und offen zu sein, was sich dabei entwickelt. Plötzlich öffnet er die Augen und schildert erstaunt, wie ihm gerade eine Erinnerung aus seiner Primarschulzeit wieder eingefallen sei. Eine Pausenhofsituation, in der er von seinen Kameraden völlig ausgeschlossen wurde und sich grässlich einsam fühlte.
Ich brauche ihm da nicht unter die Nase zu reiben, wie erstaunlich gut es zu meinem Hundebild passt. Dieses Ausgrenzungsgefühl wird zum ersten wichtigen Thema der weiteren Therapie. Natürlich blieb im weiteren Verlauf Herrn F.’s natürlicher Hang bestehen, sich in Wortreichtum zu verlieren. Aber dank der Bresche, die diese Modelltrance geschlagen hatte, konnten wir immer wieder Bezüge zu seiner Kindheit herstellen und in Trancen nach reparativen Ressourcen suchen.
Zusammengefasst im Überblick die Modelltrance:
In einer blockierten Situation:
1. Atmosphärisches Zuhören und sich auf innere Bilder und Gefühle achten
2. Den Patienten unterbrechen und gleichzeitig die Augen schliessen (Therapeut geht in Trance)
3. «Wenn ich auf mich wirken lasse, was Sie mir berichten…» (wichtig)
4. Dem Patienten das Bild schildern (Therapeut immer noch in einer sich vertiefenden Trance)
5. Therapeut öffnet die Augen: «Dies ist nur mein Bild. Sagt es Ihnen etwas?» (wichtig)
6. Reaktion abwarten (explorativ)
Die Ideen dahinter
Nehmen wir jetzt die einzelnen Stationen und Aspekte der «Modelltrance» unter die Lupe, mit der Frage, was sie bezwecken.
Die innere Vorbereitung: Identifikation und Bild
Blockierte Situationen in einer Therapie können aus mannigfachen Ursachen entstehen und unterschiedlichste Gesichter zeigen. In jedem Fall bescheren sie dem Therapeuten zunächst Ohnmachtsgefühle. Patienten wie Herr F. können uns mit ihrer Logorrhoe überfluten und auf diese Weise ausser Gefecht setzen. Diese Strategie schützt sie vor Infragestellungen. Auch eine Weigerung, sich auf die Hypnose einzulassen (selbst wenn diese vordergründig ausdrücklich gewünscht wird), hebelt die besten Absichten des Therapeuten aus. Diese Strategie schützt vor potentiell bedrohlicher Nähe. Ebenso verunmöglichen kommunikative Erstarrungen – sei es beispielsweise eine völlig passive, verstummte Haltung, oder im Gegenteil eine systematische, aggressive Entwertung jeder vorgeschlagenen Intervention – jegliches Weiterkommen.
Will man die Therapie wieder in Gang bringen, so erweist sich tatenloses Abwarten nicht wirksamer als sich in einen Machtkampf einzulassen. Im Gegenteil: Indem der Therapeut letztlich den Handschuh des Patienten aufnimmt, überlässt er im Grunde ihm die Führung. Dabei unterstützt er den Widerstand, und der Patient bleibt mit seinem Problem alleingelassen. Um den Therapeuten aus dieser Zwickmühle zu befreien, führt der sicherste Weg über die Empathie bzw. über die Identifikation mit dem Patienten, am besten natürlich in Selbsthypnose.
Grundsätzlich bedeutet es nichts Neues in der Psychotherapie, als Therapeut sein eigenes, inneres Erleben zu erforschen, und dann die Reaktion – ein Bild oder ein Gefühl ¬– dem Patienten als Spiegel seiner Problematik möglichst nutzbringend zu übermitteln. Oberstes Gebot heisst zu vermeiden, dass das angebotene Spiegelbild in den Augen des Patienten als Kritik verstanden werden kann. Genau aus diesem Grund verzichtete ich darauf, Herrn F. das Bild des überschwemmenden Flusses preiszugeben.
Der Patient soll sich berührt und irgendwie verstanden fühlen. Er soll aus dem Bild etwas entnehmen können, was er dann für sich in konstruktiver Weise umsetzen kann. Dies wird nur möglich, wenn das angebotene Spiegelbild auf dem Boden der Empathie des Therapeuten gewachsen ist. So war die Frage im Hintergrund, die mich zum Bild des Hundes führte, eigentlich: «Wie muss man sich wohl fühlen, wenn man sich einem so überflutenden Reden hingibt?» Weil dies in Trance geschah, entstand daraus nicht eine rationale Erklärung, sondern ein symbolisiertes Bild, das verschiedenste Ebenen meiner Wahrnehmung miteinbezog. Mein Hundebild hatte dann tatsächlich das Potential in sich, als stimmig empfunden zu werden, zumal es mit einem authentischen, körperlichen Gefühl verbunden war.
Wenn wir schon beim Thema «authentisch» sind: Selbstverständlich darf ein Bild dem Patienten nur weitergegeben werden, wenn der Therapeut wirklich authentisch selber davon berührt ist und dazu stehen kann. Wäre das Bild eine blosse intellektuelle Konstruktion, würde es zur Farce. Es würde dann höchstens das Misstrauen des Patienten verstärken.
Ein weiterer Punkt: Die Trance des Therapeuten verläuft in zwei Phasen, mit zwei unterschiedlichen «Tiefen». Zuerst ist sie nur eine Art von innerem Zurücktreten, ein Verlassen des kognitiven Zuhörens, und in diesem Sinn bleibt sie noch oberflächlich. Sobald ein Bild gefunden ist, der Therapeut die Augen schliesst, und das Bild schildert, vertieft sich die Trance. Typischerweise zeigen sich dann im Bild mehr und neue Details, Emotionen, Hinweise auf Ressourcen usw., die dann laufend geschildert werden sollen.
Die Überraschung, das Staunen und die Trance
Ein wesentlicher Bestandteil der Modelltrance besteht in deren «Inszenierung». Diese beabsichtigt, den Patienten durch Überraschung in eine Lage zu bringen, in der seine für gewöhnlich erfolgreiche, unbewusste Strategie, um sein Gegenüber auf Distanz zu halten, ausgehebelt wird. Dabei wird keinerlei autoritärer Druck ausgeübt.
Wir reissen den Patienten unerwartet und auf dezidierte Weise aus seiner Redetrance (oder aus seinem erwartungsvollen Schweigen, wie wir im nächsten Text sehen werden) heraus. Ein Versuch des Patienten, das Steuer wieder zu übernehmen und weiterzureden, wird vereitelt, indem der Therapeut die Augen schliesst und so eine Situation schafft, auf die der Patient keine unmittelbare Antwort finden kann. Dieser Augenschluss ist für ihn nicht nur überraschend, sondern auch zunächst unerklärlich. Als einziger Ausweg aus dieser Ratlosigkeit – und da geschieht etwas ganz automatisch – stellt sich eine Art «Schreckstarre» ein, ein Versinken in eine handlungsunfähige, aber offene Trance. In diesem Zustand bleibt dem Patienten auch nichts Anderes übrig als zuzuhören.
Und was er hört, ist nicht ein intellektuell kognitiver Diskurs, sondern es sind Bilder und Gefühle, die mit ihm selber zu tun haben. Auf der einen Ebene festigt dies seinen Trancezustand als solchen, weil Bilder und Gefühle Trancesprache sind. Gleichzeitig erreicht der spezifische Inhalt der Botschaft direkt sein Unbewusstes und löst dementsprechend Gefühlsreaktionen aus – und eben nicht kognitive Argumentationen: Genau das, worauf wir abzielen.
Ein solches Vorgehen mag Manchem sehr manipulativ erscheinen, denn der Patient hat ja kaum eine Möglichkeit, sich ihm zu entziehen. Zudem wirkt es auch recht unhöflich. Sehr wohl handelt es sich um eine «Manipulation» in der Hinsicht, dass der Therapeut den Patienten an einen Ort hinführt, den er nicht im Voraus mit ihm besprochen hat. Im Unterschied aber zu einem «normalen» Manipulieren, entsteht dieses Manöver nicht aus eigennützigen Motiven heraus, sondern aus einer abstinenten, dienenden Haltung des Therapeuten. Es steht im Dienst des Patienten und seines eigentlichen Anliegens, und somit erfüllt der Therapeut letztlich den Grundauftrag, den er vom Patienten erhalten hat.
Zum Thema Höflichkeit: Der Anstand erlaubt uns in der Regel nicht, vor jemandem, der uns langweilt, die Augen einfach zu schliessen und plötzlich Thema zu wechseln, und von unseren eigenen Gefühlen und Bildern zu erzählen. Hier aber, in der Modelltrance, verlassen wir ja das Thema des Patienten in keiner Weise. Wir holen den Patienten nur von seiner Selbstablenkung zurück zu seinem eigentlichen Thema.
Die Inszenierung der Modelltrance stellt also eine Form von indirekter Hypnoseinduktion dar. Der Patient sitzt zwar mit offenen– oft sogar weit offenen – Augen da, aber seine gewohnten und letztlich «neurotischen» Muster sind unterbrochen. Er hört jetzt zu, öffnet sich nach innen und kann in eine echte, therapeutische Kommunikation treten.
Das "Modell Stehen"
Die Inszenierung der «Modelltrance» beinhaltet noch einen anderen, wichtigen Aspekt. Durch unseren demonstrativen Augenschluss, den der Patient mit eigenen Augen beobachtet, bekommt er mit, wie sich jemand mit geschlossenen Augen in seine Innenwelt zurückzieht, Einflüsse der Aussenwelt bewusst auf seine Innenwelt wirken lässt, dass daraus erstaunliche und gleichzeitig hilfreiche Bilder entstehen, und dass Emotionen aushaltbar werden. Ohne dass dies explizit betont werden muss, spiegelt ihm dies eine Fähigkeit, die auch in ihm vorhanden sein muss. Er erkennt jetzt, wenn auch erst unbewusst, was ihn erwartet, wenn er sich einmal in die Hypnose einlassen wird. In ihm entsteht allmählich ein Modell, wie Hypnose auch für ihn hilfreich werden könnte. Daher der Name «Modelltrance».
Im nächsten Text werde ich Ihnen neben weiteren, interessanten Aspekten der «Modelltrance» auch einige wichtige Punkte aufzeigen, die es bei der Anwendung der Modelltrance zu beachten gilt. Ein weiteres Fallbeispiel wird Ihnen zeigen, wie sich die Modelltrance in eine fast gegenteilig konstellierte Situation einbringen lässt.
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1 s. Text Nr.20 «Zindels List»
2 s. dazu die Texte 1-5 «Explorer»
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Die Modelltrance 2. Teil
Sie sind ja vielleicht schon neugierig auf die zweite Fallgeschichte zur Modelltrance, aber zuerst muss ich Ihr Augenmerk auf einen entscheidenden Punkt richten.
1. Die beiden unerlässlichen Sätze der Modelltrance
Es geht um zwei Sätze, die wir schon kurz im ersten Text kennengelernt haben – der eine zur Einleitung, der andere zum Abschluss. So gut wie zwingend gehören sie zum Ablauf einer verantwortungsvollen Modelltrance: Ohne sie könnte die Übung nämlich leicht auf therapeutischem Glatteis enden.
Der Eingangssatz
«Wenn ich Ihnen zuhöre und es auf mich wirken lasse, kommt mir folgendes Bild...»
(oder natürlich sinngemässe Varianten)
Mit diesem Satz teilen wir dem Patienten zum Zeitpunkt unseres Augenschlusses gleich mehrere, grundlegende Botschaften mit:
- Wir stellen klar, dass wir ihm die ganze Zeit durchaus zugehört haben, auch wenn er es in seiner logorrhoischen Trance kaum gemerkt hat (Wie viele Menschen reden unaufhörlich, geradezu autistisch, nur weil sie nicht wahrnehmen, dass ihnen jemand wirklich zuhört?). Wir stellen uns also als präsenter Mensch, der authentisch an ihm interessiert ist, vor ihn hin: ein starkes Zeichen zum Thema Beziehungsqualität!
- Wir stellen eine Kontinuität des Kontaktes her. Das in den Augen des Patienten höchst absonderliche Manöver des Therapeuten stellt nämlich jegliche Form von normalem Kontakt in Frage: «Zuerst unterbricht er mich, und dann entschwindet er in einen synkopeartigen Zustand? Geht es ihm nicht gut? Oder mag er mir nicht mehr zuhören?». Tür und Tor sind offen für alle möglichen Phantasien von Ablehnung oder Gefährdung. Unser einleitender Satz beruhigt diese Befürchtungen von vornherein und schafft eine neue, wenn auch ungewöhnliche Normalität.
- Wir laden auch den Patienten ein, mit uns in eine echte Kommunikation zu treten. Denn Kommunikation beruht auf gegenseitigem Reagieren. Und ohne Kommunikation gibt es keine Therapie. Wir machen als Therapeut dazu den ersten Schritt, um ihn so nicht direkt mit seiner «Inkommunikation» zu konfrontieren und nicht vor den Kopf zu stossen. Es liegt auch ein Versprechen in der Luft, dass diese Kommunikation zwischen uns ihm in seinem Problem weiterhelfen kann.
- Als Nebeneffekt schliesslich füllt dieser Satz auch akustisch die kurze Zeitspanne der Verunsicherung, die der Therapeut auslöst, indem er jählings das Zepter ergreift. So kommt der Patient nicht in Versuchung, gleich weiterzureden.
Der Abschlusssatz
«Dies ist nur ein Bild, das mir jetzt gekommen ist. Ich weiss nicht, ob es wirklich etwas mit dem zu tun hat, was Sie erleben, ob es Ihnen etwas sagt oder ob es vielleicht ganz daneben liegt.»
(auch hier natürlich sinngemässe Varianten möglich)
Gleich nach dem Öffnen der Augen muss der Therapeut unbedingt einige grundsätzlich Punkte zu seinem Bild deutlich machen:
- Mit dem Abschlusssatz stellt er sein Bild gleich in den richtigen Rahmen und relativiert dessen Bedeutung bzw. dessen «Wahrheitswert». Dieses Bild bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine letztlich persönliche, abstinent mitschwingende Reaktion aus dem Unbewussten des Therapeuten. Manch ein Patient hingegen würde in seiner regressiven Suche nach Erlösung noch so gerne daraus ein therapeutisches Evangelium machen: Schliesslich weiss doch der Therapeut mit Sicherheit, was stimmt, er hat all dies ja studiert… Den Patienten in einer solchen, illusorischen Ergebenheit unkommentiert zu belassen, würde nur seinen Neigungen zur Abhängigkeit Vorschub leisten und ihn für die weitere Exploration blenden.
- Das dem Patienten anvertraute, im Innern seines Therapeuten persönlich entstandene Bild könnte vom ihm leicht als Angebot für etwas Persönlicheres in der Beziehung aufgefasst werden. In der Modelltrance bewegen wir uns ja nicht so weit entfernt von einem: «Ich träume von Ihnen…», einer zumindest missverständlichen Aussage. Es muss dem Patienten unmissverständlich klar sein, in welchem Zusammenhang dieses «Träumen» geschieht: Es steht in abstinenter Weise im Dienst der Therapie, und hat als einziges Ziel das Wohl des Patienten. Dies muss er hören.
- Das «Ich weiss nicht…» – vorausgesetzt, es ist vom Therapeuten authentisch ausgesprochen – ist die notwendige Basis für eine sichere, explorierende Arbeit. Wollen nämlich zwei Menschen zusammen auf eine Suche gehen, und der eine weiss schon, wohin es führt, so ist es nur ein getrickstes Spiel.
- Das Bild des Therapeuten hat etwas mit dem Erleben des Patienten zu tun, was aber diesem nicht unbedingt klar ist. Er wird auf diese Möglichkeit einer gegenseitigen Resonanz hingewiesen, und dass eine solche sogar therapeutisch nützlich sein könnte. Nun kann der Patient prüfen, ob dies für ihn schon Sinn macht.
- Der Therapeut muss auch klar kommunizieren, dass der Patient dem soeben unterbreiteten Bild die Zustimmung risikofrei verweigern darf. Manche Patienten protestieren und weisen das vermeintliche Spiegelbild des Therapeuten weit von sich. Geschieht dies, stehen wir vor einer spannenden Situation. Viele Möglichkeiten: Der Patient eine nimmt zwar vorhandene Resonanz nicht wahr. Vielleicht hat er auch Angst vor einer derart intensiven Nähe. Oder das Bild trifft schlicht keine latente Ressource in ihm. Vielleicht hat auch der Therapeut wirklich gründlich danebengegriffen. Was also wirklich dahintersteckt, muss unbedingt exploriert werden, um weiterzukommen1 .
2. Das zweite Fallbeispiel: «Magische Liebe»
Das Problem in dieser Fallvignette war nicht die verbale Sturmflut wie bei Herrn F. (s. Modelltrance Teil 1), sondern etwas viel Zarteres.
Das Kennenlernen
Wegen länger andauernder Panikattacken hatte sich Frau S. für Hypnose in meiner Praxis angemeldet. Es kam eine auf Anhieb sehr liebenswürdig, aber auch fragil wirkende, 28-jährige Arztgehilfin. Die erste Sitzung nahm einen insofern unauffälligen Anfang, als Frau S. ihre Angstattacken sorgfältig und angemessen schilderte. Auf meine Fragen zur Angstanamnese gab sie, zwar mit leiser Stimme, offen und zusammenhängend Auskunft. Die Darstellung ihrer Lebensgeschichte wies auf nichts Dramatisches hin. Zu ihrer Kindheit berichtete sie, dass diese – nicht anders als alles sonst in ihrem Leben – gut und schön gewesen sei.
Ich sie sah gleich vor meinem inneren Auge als die Fee der Arztpraxis wirken, zuvorkommend und gewissenhaft, bei ihrem Chef und bei allen Patienten beliebt, und alles, was ihr aufgetragen wird, zur voller Zufriedenheit erledigend. Gleichzeitig aber wirkte das Ganze auf mich irgendwie fade. Ich fühlte mich auch vollständig im Dunkeln gelassen, woher die Panikattacken kommen sollten.
Die erste 3D-Übung
Mein Vorschlag, gleich eine erste Hypnose2 zu versuchen, wurde von ihr bereitwillig aufgenommen. Als Wünsche in ihrer 3D-Übung (S. Texte Nr. 14 und 16 «3D») tauchten sofort nebst ihren beiden Eltern und dem Bruder auch ihr geliebtes, krankes Meerschweinchen auf, sowie die Schlange ihres Bruders. Der Wunsch über ihr war ein blauer Himmel. Die Frage, was sie sich unter ihr wünschen sollte, brachte sie in eine merkliche Verunsicherung. Sie zögerte lange. Schliesslich entschied sie sich für einen schönen Sandstrand und vorne für das blaue Meer. Die weitere Hypnose verlief ohne aufsehenerregende Vorkommnisse. Wieder aus der Trance zurückgekehrt blickte sie mich zunächst fragend an, als ob ich ihr irgendeine Erlaubnis geben sollte. Als dies nicht geschah, vermeldete sie schliesslich in einem relativ neutralen Ton, es sei sehr schön gewesen ... Perfekt, ich blieb gespannt.
Wir vereinbarten, dass sie diese Übung bis zur nächsten Sitzung selber anwenden könnte, und dass wir dann weiterschauen würden. Was mir als inneres Echo auf den Eindruck von dieser ersten Sitzung blieb: «Da ist alles so lieb.» Zugleich schwebten auch gewisse Fragezeichen über diesem Eindruck.
Unter der Tür noch schnell …
Sie war schon dabei, das Sprechzimmer zu verlassen, da überrascht sie mich mit einer Information, «die für Sie vielleicht wichtig ist». Etwas verlegen vertraut sie mir an, dass sie in den letzten fünf Jahren vier Mal die Stelle gewechselt hatte. Immer hatte sie die Kündigung selber eingereicht, und immer aus demselben Motiv: Sie wollte ihren Platz für eine Mitarbeiterin frei machen. Beim ersten Mal ging es um eine Kollegin, die Probleme mit dem einen der Ärzte der Gemeinschaftspraxis hatte, und dieser hatte ihr mit der Kündigung gedroht. Also kündigte meine Patientin, um ihr die Stelle zu erhalten. Später war eine andere Mitarbeiterin schwanger geworden, und auch für sie opferte sie ihre Stelle und kündigte. Alle anderen Stellenwechsel waren im gleichen Stil erfolgt.
Die Sitzung war wie gesagt zu Ende. Darum dankte ich ihr für diese zusätzliche Information, ging aber nicht weiter darauf ein. Hingegen stiegen mir jetzt die Fragezeichen zuhauf auf …
Zweite Sitzung
Die Eröffnung der zweiten Sitzung ist sonderbar. Nachdem sich Frau S. hingesetzt hat, schaut sie mich schweigend und mit grossen Augen an. Ich blicke freundlich zurück, lasse ihr Zeit, um sie auf diese Weise zu ermuntern, mir mitzuteilen, was sie auf dem Herzen hat. Unbeirrt bleibt ihr Blick an mir haften, und das Schweigen dauert an. Ihr Blick wirkt mysteriös, fremd. Was steckt dahinter? Eine Mischung aus Verängstigung, Traurigkeit, Hilfesuchen? All dies trifft nicht genau zu. Am ehesten das Wort: verloren.
Natürlich spüre ich in mir den Druck, sie da rauszuholen. Innere Stimmen drängen mich, das Schweigen zu brechen: «So herzlos kannst Du doch nicht sein!» Es wäre ja auch ein Leichtes: Es brauchte dazu nur irgendeine ganz schlichte, erlösende Frage. Aber eine andere Stimme meldet sich in mir, und fragt mahnend: «Ist es wirklich die beste Lösung, den Bann des Schweigens jetzt zu brechen?» (Ich erkenne da meine mir wohlbekannte, trotzige, innere Skepsis, die mich seit je her bei allem leitet: «Ist es wirklich so? Stimmt es wirklich?»)
Tatsächlich, eine solche, simple Höflichkeit würde der offensichtlich spannungsgeladenen, aber mit Bestimmtheit ebenso bedeutungsträchtigen Atmosphäre nur die Luft raus lassen. Lasse ich hingegen das geheimnisvolle Schweigen weiterwirken, hat es die Möglichkeit, mir in wortloser – wohl noch unverständlicher – Form einen wichtigen Aspekt ihrer Gegenwart und ihrer Lebensgeschichte zu erzählen.
Und jetzt: die Modelltrance
In meinem Gefühl hat unsere Beziehungsqualität schon genügend Zerreissfestigkeit entwickelt, und es zeigen sich auch keine Anzeichen irgendeiner Eskalation. Also beschliesse ich, diesem seltsamen, eingefrorenen Zustand Zeit zu geben und ihn in Ruhe zu explorieren. Insbesondere achte ich mich auf meine eigenen, inneren Regungen – sie weiterhin freundlich anschauend.
Der Druck ihres Blicks und ihres Schweigens nimmt zu. Vor meiner Brust türmt er sich buchstäblich auf und engt mir die Atmung ein. Nur kurz zwinkert ein Bild von Bambi auf: die Augen. Der Druck schwillt weiter an, wächst zu einer riesigen Wasserwoge vor mir – einer Tsunamiwelle gleich, die sich jederzeit über mich stürzen will. Sie erstarrt aber zu einer gigantischen Wasserwand, weiterhin bereit, mich zu überwältigen und zu vernichten.
Über dieser Wasserfront bildet sich jetzt ein wilder Schaum, der sich langsam zu einem Hexengesicht ausformt – es will mich mit einem hasserfüllten Blick zugrunde richten. Ich aber widerstehe mit der ganzen Kraft meines Blicks, und die Hexe verzaubert sich in ein kleines, keckes Mädchen, das auf der Schaumkrone tanzt, eine fröhliche Pippi Langstrumpf. Sie streckt Allem die Zunge raus und zeigt sich zu allen lustigen Taten bereit (Wahrlich, der Kontrast zu dem Bild, das konkret mir gegenübersitzt, beeindruckt!).
Dieses Bild verspricht eine interessante Modelltrance! Wie wird Frau S. darauf reagieren? Ich schliesse die Augen, lehne zurück und beginne: «Wenn ich dieses Schweigen auf mich wirken lasse, kommt mir folgendes Bild.» Ich schildere nun in farbiger, hypnotischer Sprache meine Riesenwoge, die Hexe, Pippi Langstrumpf. Bambi lasse ich aus, weil es meinem Gefühl nach nicht mehr passt (Ich habe ja anstelle das viel verheissungsvollere, kecke Mädchen gefunden).
Dann öffne ich die Augen wieder und bin gespannt, was ich jetzt sehen werde. Ich vergesse aber nicht, den Satz auszusprechen: «Dies ist nur ein Bild, das in mir entstanden ist. Ich weiss nicht, ob Sie damit etwas anfangen können.» Vor mir sehe ich nichts anderes als vor meinem Augenschluss. Derselbe Blick, dasselbe Schweigen. Allmählich ändert sich aber ihr Blick, als würde sie etwas in ihrer Tiefe suchen. Mit einem scheuen Lächeln sagt sie endlich: «Mir gefällt das Mädchen.». Und mir gefällt diese Antwort! Ich frage: «Ah, ja?» «Ja. Als Kind wäre ich so gerne so gewesen.» «Ah, ja?» «Ja. Aber meine Mutter…» Sie stockt und erstarrt wieder, sichtlich um Emotionen zu unterdrücken.
Dieser Text ist leider nicht der Ort, um den gesamten Verlauf der Therapie auszuführen, so spannend er in Wirklichkeit war. Nur einige, wenige Schlüssel sollen kurz andeuten, was eine solche Modelltrance in Gang bringen kann: Frau S.’ Mutter war depressiv, dem Alkohol sehr früh verfallen, eitel und unbeherrscht. Der Vater hatte sich fast gänzlich in sein zunächst florierendes Geschäft vergraben. Allerdings häuften sich dort bald wirtschaftliche Probleme, und die Firma wurde marode. Über der Familie herrschte eine allgegenwärtige, alles einbeziehende Angststimmung. Einzig der Sohn, der sich nicht besonders angetan fühlte, im Leben viel zu leisten, schien in seinem substanzunterstützten Nirwana zufrieden zu vegetieren. Letztlich stützte sich das nach aussen einigermassen normale Überleben der Familie auf dem nicht sehr festen Boden von Frau S.’ Selbstverneinung ab.
Ist es nicht spannend, nachträglich zu verfolgen, wie die banalisierende Schilderung der Lebensgeschichte («Alles war gut und schön») die Umstände Ihres Aufwachsens gewissermassen in der Umkehrung darstellten, und wie dann mein Unbewusstes daraus ein traumartiges, symbolisierendes Bild schuf, aus dem eine potentielle Ressource – Pippi Langstrumpf – entstand?
Frau S. erkannte auch im Verlauf der Therapie immer deutlicher, wie absurd – objektiv gesehen– ihre Kündigungen gewesen waren, so lieb der Impuls dazu jeweils war. «Liebe» wurde magisch verstanden, sollte unscharf wahrgenommenes Unheil mit völlig untauglichen Handlungen abwenden. Vermutlich hatte sie als Kind mit derselben Magie vergeblich versucht, ihre Mutter zu heilen, den Vater zu retten, den Bruder auf den rechten Weg zu bringen. Auf diese Weise wurden die Panikattacken auch etwas verständlicher: Als Gefangene einer solchen, untauglichen Magie bewegte sich die kleine Pippi in ständiger Panik. Je mehr Pippi im Laufe der Therapie Überhand gewann, desto schwächer und seltener wurden die Panikattacken.
3. Explorieren
Was wäre ein Text in diesem Blog ohne eine Erinnerung an das «Explorieren»? Die Bedeutung der konsequenten, explorativen Haltung ist bei der Modelltrance allerdings noch wesentlicher als sonst. Hier lauern nämlich besondere Versuchungen:
Stellen Sie sich beispielsweise vor, in ihrer Modelltrance sei Ihnen ein wunderbares Bild erschienen. Es passt perfekt zu dem, wie Sie den Patienten erleben. Sie bringen es, wohl mit der gebührenden Zurückhaltung, doch mit Begeisterung in die Modelltrance ein. Sie können die bestimmt überwältigte Reaktion kaum erwarten. Er aber schüttelt nur den Kopf: «Sagt mir gar nichts.». Würden Sie da nicht zunächst frustriert den «Widerstand des Patienten» verdächtigen? Interpretieren, dass der Patient sich in Ihrem Spiegel nicht sehen will oder kann? Oder wenn Sie eher der Selbstzweiflertyp sind, machen Sie sich Vorwürfe: «Gott, sicher habe ich etwas total falsch verstanden. Hätte ich doch nur geschwiegen.». Die eine wie die andere Reaktion bedeuten aber letztlich nur Rückzieher aus dem therapeutischen Explorieren. Anstatt neugierig weiter zu forschen, welche Dynamik zwischen Ihnen und dem Patienten hier spielt, versteifen Sie sich in eine Standardhaltung unterschiedlicher Schuldzuweisung.
Ein innerliches, nicht unbedingt ausgesprochenes: «Ah? Spannend! Was steckt dahinter?» vertieft hingegen Ihr Explorationsbündnis mit dem Patienten. Explizit können Sie Ihre Frage beispielsweise so formulieren: «Offenbar habe ich Ihre Aussagen in einer Weise wahrgenommen, die mir dieses Bild aufkommen liess. Aber Sie erleben es ganz anders. Irgendetwas muss dieses Missverständnis ausgelöst haben. Was könnte es sein?» Auf diese Weise zeigen Sie bedingungslosen Respekt für seine Wahrnehmung, aber auch für die Ihre. Und explorieren weiter.
In jedem Fall, wenn die Reaktion ganz anders ausfällt als Sie es irgendwie erwarteten – auch wenn beispielsweise Frau S. überhaupt nicht auf mein Bild eingegangen wäre und weiter geschwiegen hätte – immer liefert es in der Therapie einen Anlass, weiter zu explorieren.
4. Wann wird die Modelltrance sinnvoll eingesetzt?
In erster Linie ist die Modelltrance natürlich für das psychotherapeutische Setting gedacht (schwierig sich vorzustellen, wie ein Zahnarzt ängstliche Patienten beruhigen soll, indem er seine Augen schliesst und ihnen die Schilderung eines therapeutischen Spiegelbildes, säuberlich ein Wort nach dem anderen, in deren offenen Mund einträufelt…).
Grundsätzlich basiert die Modelltrance auf zwei Spezialitäten:
1. generiert sie ein therapeutisches Spiegelbild, durch das im Unbewussten des Patienten ein langfristiger Entwicklungsprozess angeregt werden kann.
2. wirkt sie als Befreiungsschlag in Situationen blockierter Kommunikation.
Hinsichtlich der Problematik der Patienten ist sie demzufolge indiziert:
- wenn diese in einer erstarrten (Alltags-)Trance gefangen sind, und ein therapeutisches Weiterkommen harzig oder momentan unmöglich wird. Beispiele dafür sind Herrn F.’s Logorrhoe oder Frau S.’s Schweigetrance. Auch lähmende Angsttrancen können hierzu gezählt werden.
- wenn in erlahmte Therapiesituationen wieder Schwung eingebracht werden soll, wenn also beispielsweise bei Therapeut und/oder Patient das Gefühl entstanden ist, die Therapie drehe sich im Kreis.
Die Modelltrance findet also ihren Platz als punktuelle, spezifische Interventionsform für besondere Situationen. Sie stellt kein hypnotisches Therapiesystem an sich dar.
Daneben spielen auch Aspekte der Persönlichkeit des Therapeuten mit:
- Nicht jedermann verfügt über eine Phantasie, die jederzeit bereit ist, genau im richtigen Augenblick ein spontanes Bild aus dem eigenen Unbewussten zu produzieren. Aber zumeist geht es auch nicht um eine Notwendigkeit sofortiger Bereitstellung, und es lassen sich Auswege finden, Zwischenlösungen, die ebenfalls zielführend sind. So können Sie sich beispielsweise Zeit nehmen, sich die Frage zu stellen: «Welches Märchen fällt mir ein?» Vielleicht erscheint dann Schneewittchen im Glassarg, die kleine Meerjungfrau, Aschenputtel, oder ein Frosch, der an die Wand geknallt wird. Die bekannten Märchenbilder haben ja einen universellen, archetypischen Bedeutungsgehalt, und sind dem Patienten vermutlich aus der Kindheit vertraut. So können auch sie die Funktion eines Auslösers für Bilder im Patienten übernehmen. So heisst dann Ihr einleitender Satz beim Augen schliessen einfach: «Wenn ich Ihnen zuhöre und es auf mich wirken lasse, kommt mir Schneewittchen in den Sinn.» Je nach dem können Sie das Bild ausmalen, und Sie explorieren, was der Patient damit anfängt. Mit Märchen stehen Sie nicht unter Druck, etwas Eigenes kreieren zu müssen (und haben erst noch indirekt eine kleine Altersregression eingeleitet).
- Die Modelltrance setzt Mut und eine Bereitschaft des Therapeuten voraus, ein kleines Stück seiner eigenen Person preiszugeben und sich dadurch auch ein bisschen aus dem Fenster zu lehnen. Ein solches in Erscheinung treten widerspricht der Abstinenzregel insofern nicht, als sich der Therapeut ausschliesslich im Dienst des Patienten einbringt. Er kommuniziert also weder über seine eigenen Probleme (und könnte sich blamieren) noch spielt er sich als vermeintliches, gutes Beispiel auf (und könnte sich blamieren). Er bietet nämlich sein Bild dem Patienten nur in explorativer – nicht in verpflichtender – Weise an. Und schliesslich steht immer der Patient im Fokus der Aufmerksamkeit, was auch immer der Therapeut tut oder nicht tut.
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1 „Keep calm and carry on exploring»
2 s. Text 20, "Die 10-Minuten-Regel»