3. Das Schulterklopfen: meine Lieblings-Klopftechnik
| Schulterklopfen |
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„Klopf-“ oder „Tapping-Techniken“ gibt es in zahlreichen Varianten, wie beispielsweise EFT oder PEP. Alle sind sehr effiziente, therapeutische Methoden. Alle bauen auf einem mehr oder minder ausgeklügelten Ablauf auf, der zuerst erlernt werden muss. Hier stelle ich Ihnen nun die denkbar einfachste Klopftechnik vor, mit allen Vorteilen der Einfachheit: im Handumdrehen gelernt und praktisch überall anwendbar... und erst noch bemerkenswert wirksam.
Das Grundrezept
1. Man höre sich die Erzählung des Patienten1 genau an (und begibt sich dabei am besten selber in eine leichte Trance), auf der Suche nach einer Stärke, die ein Gefühl der Hochachtung für ihn aufkommen lässt.
2. Sobald sich dieses Gefühl authentisch einstellt, überrasche man ihn mit der Frage: „Können Sie sich dafür auf die Schulter klopfen?“, klopft sich dabei selber auf die Schulter und zeigt auf seine Schulter. Wenn nötig darf man den Patienten dafür unterbrechen.
3. Zeigt der Patient Widerstand, insistiere man, mit dem Ziel, dass der Patient seine Stärke einsieht.
4. Das Schulterklopfen soll vom Patienten möglichst in jedem Fall auch wirklich physisch ausgeführt werden.
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1 Patient: Mensch, der leidet und kompetente Hilfe sucht
Zunächst noch der Hintergrund
Am Ursprung der „Schulterklopftechnik“ liegt eine unvergessliche Supervisionsstunde, etliche Jahre zurück. Meine Supervisandin hatte den betreffenden Patienten erst einmal gesehen. Er war nach einer langen Serie von Schicksalsschlägen schwer depressiv geworden, eine endlose und bestürzende Leidensgeschichte, die sie mir in allen Details vorstellte. Sie schloss ihre Schilderung mit ihrer eigenen Reaktion, ihre Frage an ihn: „Wie haben Sie es denn geschafft, bei all diesem Unglück ohne aufzugeben immer weiter zu kämpfen?“. Aus Betroffenheit und gleichzeitiger Bewunderung war ihr diese Frage spontan herausgerutscht. Darauf hatte der Patient etwas ratlos reagiert, hatte sich aber offensichtlich verstanden gefühlt.
Von der Schlichtheit und von der Macht dieser ganz einfachen Frage war ich so beindruckt, dass ich sie – bzw. vor allem die Haltung dahinter – sogleich in mein Repertoire übernahm (...immer wieder muss man sich in der Supervision fragen, wer eigentlich von wem lernt). Die Idee, den Patienten dazu zu bringen, sich selber wertzuschätzen, ja vielleicht sogar sich selbst ein bisschen zu bewundern, erschien mir als einer der zentralen Schlüssel zur Psychotherapie. Die Frage, wie sich diese würdigende und stimulierende Frage vielleicht noch weiter ausbauen liess, in der Absicht, den Patienten noch ausdrücklicher einzuladen, sich selber wertzuschätzen, liess mich nicht in Ruhe. So versuchte ich – mit geringem Erfolg – die Formulierung: „Können Sie sich für das, was Sie alles durchmachen, auch selber Anerkennung geben?“. Zu oft stiess ich damit auf eine zurückhaltende Skepsis („Nimmt der mich nicht ganz ernst?“) und löste dadurch mehr Gegenargumentation aus als mir lieb war.
Die argumentierende Ebene muss tunlichst gemieden werden. Der nächste Schritt bestand also darin, das Erleben direkt anzupeilen. Mit andern Worten: Es musste hypnotisch werden, am besten mit Einbezug des Körpers. Die Idee des Schulterklopfens war geboren.
Jetzt das praktische Vorgehen
Es müssen drei Situationen unterschieden werden:
• beim ersten Mal in der Praxis
• die folgenden Male in der Praxis
• das Anwenden zuhause
Beim ersten Mal: Die Überraschung in der Praxis ...
Im Detail
Zu Punkt 1: Man kann der Lebensgeschichte eines Patienten mit unterschiedlichen Ohren zuhören. Erste Möglichkeit: das Sammeln biographischer Daten. Diese ordnet man dann sorgfältig, mit dem Ziel, sich daraus ein überspannendes Bild einer Entwicklung auszumalen. Die Mutigen können dann sogar daraus eine hypothetische Diagnose aushecken. Oder man konzentriert das Ohrenmerk auf die genaue, detaillierte Schilderung der Symptome, und baut auf diesem Weg eine Planung der kommenden, hypnotischen Interventionen auf.
Dann gibt es aber noch eine weitere, und viel spannendere Möglichkeit: Ich wende mich vom kognitiven verstehen Wollen möglichst vollständig ab, begebe mich in eine empathische Trance (meist mit offenen Augen), und suche darin, mich emotional möglichst in die Nähe seiner Welt zu begeben. Vielleicht gelingt es mir sogar, ein Stück weit in seine Haut zu schlüpfen. So kann mir auch die Schwere der Last, die er zu tragen hat, bewusster und spürbarer werden. Die Anstrengung, die ich dabei machen muss, widerspiegelt in einem gewissen Sinn die Anstrengungen des Patienten, die er in seinem Leiden stündlich, täglich machen muss. Doch auch mein Spiegelgefühl wird immer nur ein schwaches Abbild, vielleicht nur ein Abklatsch von der Realität seines Leidens, seines unaufhörlichen Kampfes bleiben. Immerhin, durch diese Arbeit ringe ich mir eine authentische Bewunderung für diese Leistung des Patienten ab.
Zu Punkt 2: Sobald ich erkenne, dass in mir dieses Gefühl echter Hochachtung aufkommt, bieten sich je nach Situation zwei grundsätzliche Möglichkeiten an:
- Einem Patienten, der seine Beschwerden in reflektierter und klarer Form schildert, höre ich in dieser besonderen Form von Empathie versunken zu, lasse ihn seinen Bericht bis zum Ende erzählen und stelle ihm so den Raum zur Verfügung, sein Leiden in seiner eigenen, subjektiven Ganzheit darzustellen. Dann erst stelle ich ihm, in möglichst einladender Weise, die Frage, gewissermassen als meine Antwort: „Sind Sie einverstanden, sich jetzt für Ihre Leistung auf die Schulter zu klopfen?“ Dabei stelle ich nicht nur verbal diese Frage, sondern ich mache auch gleichzeitig etwas für den Patienten Unerwartetes: Mit der einen Hand klopfe ich mir selber auf die Schulter und mit dem andern, ausgestreckten Arm zeige ich suggestiv auf seine Schulter. Meine Frage stelle ich also zusammen mit einer starken und respektvoll auffordernden Begleitgestik.
- Beobachte ich beim Patienten ein allmähliches Versinken in eine wehklagende Form von Trance, in der sich seine Schilderung in sich wiederholenden, hoffnungslosen Kreisen zusehends verliert, dann überlasse ich ihn nicht einfach seiner Abwärtsbewegung, sondern ich unterbreche seine Trance in durchaus höflicher Manier: „Darf ich Sie kurz unterbrechen?“ Diese Frage löst natürlich immer eine gewisse Überraschung aus, ist aber hilfreich: Überraschung weckt und stimuliert naturgemäss. Zweitens bringt sie den Patienten zum Innehalten. Er weiss für einen Augenblick nicht mehr, wie es weiter geht. Seine innere Orientierung muss sich auf Unerwartetes, Neues richten. Genau dies ist das Typische für einen hypnotischen „Flash“: In Sekundenschnelle hat sich der Bewusstseinszustand im Sinne einer Öffnung verändert. Diesen kurzen Überraschungsmoment nutze ich also als „Vaseline am Suppositorium“, um meine „Schulterklopffrage“ leichter – sprich hypnotisch – Eingang finden zu lassen.
Dazu noch eine wichtige Bemerkung:
Auch wenn ich meine Frage in einem bewusst suggestiven Ton stelle, erlaubt mir dies selbstverständlich in keiner Weise, vom Patienten zu erwarten, dass er sich jetzt wirklich auf die Schulter klopft. Mich interessiert viel mehr, wie seine Reaktion auf meinen Vorschlag hin tatsächlich ausfällt. Ich bleibe also dem Prinzip des „konsequenten, interaktiven Explorierens“ (s. Texte zu „Explorer“) unverbrüchlich treu. Andernfalls würde ich viele wertvolle Hinweise auf die „Funktionsweise“ des Patienten verpassen. Zudem würde ich einen Druck ausüben, der antihypnotisch wirkt. Und schliesslich würde sich dadurch auch mein therapeutischer Hebelarm verkürzen (s. Text Nr. 17 „Das psychologische Hebelgesetz“).
Zu Punkt 3: Stellen Sie sich kurz vor, Sie sind dabei, ihrem Arzt ihre Leiden zu schildern, und er fordert Sie auf, sich dafür auf die Schulter zu klopfen: „Wie bitte ???“... ein kurzer Stupor ist da eine verständliche und nachvollziehbare Reaktion. Da braucht manch ein Patient noch eine kleine Verständnisunterstützung von mir: „Ja, wirklich, ich meine es absolut ernst: Beim Hören Ihrer Schilderung war ich beeindruckt, was Sie alles durchgemacht haben und immer noch durchmachen, und ich denke, es muss enorm viel Kraft brauchen, um das durchzustehen. Können Sie sich dafür nicht auf die Schulter klopfen?“ Meist gelingt es auf diese Weise, den Patienten von seiner Stärke zu überzeugen, was sich in der Regel nach aussen in Form eines verlegenen Lächelns zeigt. Er hatte ja seine Situation noch nie in diesem Licht betrachtet. Das Annehmen dieser Sichtweise bringt Entspannung und eine heilsame Distanzierung mit sich.
Auch hier eine wichtige Bemerkung:
Es ist von zentraler, therapeutischer Bedeutung, dass sich der Patient die Anerkennung authentisch und selber geben kann. Anerkennung von Andern erfreut uns Menschen (im Normalfall) allemal, doch einen wirklichen Sinn bekommt sie höchstens als Station auf dem Weg zur Selbstanerkennung. Nur diese stärkt wirklich und macht autonom.
Bleibt es für den Patienten bei der Fremdanerkennung (sei es auch die seines Therapeuten) und wird diese nicht in Selbstanerkennung verwandelt („Na schön, wenn Sie das finden...?“), dann
- bleibt entweder alles beim alten, gärenden Versagensgefühl,
- oder das Lob wird in ein wohlbekanntes Abhängigkeitsmuster integriert. Wir alle kennen Menschen, die schaffen es, von allen Seiten ganz viel Anerkennung zu erhalten, und sie weisen diese dann voll Bescheidenheit zurück. Dafür ist ihnen dann sogar doppelte Anerkennung gewiss: Zu allem Fleiss gelten sie noch als anspruchslos und genügsam. Für ihre Tugendhaftigkeit werden sie nicht nur ganz besonders hoch geachtet ... sondern auch angespornt, so weiter zu machen ... bis die Rechnung nicht mehr aufgeht. Solche Helden des Alltags sind ideale Kandidaten für einen Burnout. Sie merken nicht, dass sie sich ihr Lob meist von Mitmenschen holen, die dahinter eigene, manchmal sogar zweifelhafte Interessen verstecken... Ihre mangelnde Selbstanerkennung hat sie letztlich ins „Milieu“ der Droge „Fremdanerkennung“ verleitet.
- oder – eine dritte Gefahr – meine Anerkennung als Therapeut verführt den Patienten, den weiteren Verlauf der Therapie durch die Suche zu prägen, wie er mir gefallen könnte. Bewusst oder unbewusst beginnt er dann zu sondieren, wie er am besten das nächste Lob von mir erhalten könnte. Wohl tut er das in der aufrichtigen Meinung, dies werde ihm sicher helfen, weil ich ja schliesslich der bin, der weiss, wo seine Rettung liegt (Weiss ich nicht !!). In Wirklichkeit begibt er sich aber in eine Abhängigkeitsfalle mir gegenüber ...
Nur aus der Energie der Selbstanerkennung kann Autonomie erwachsen.
Zu Punkt 4: Nun soll der Patient unbedingt, auf welchem Weg auch immer, dazu gebracht werden, sich physisch tatsächlich auf die Schulter zu klopfen (Natürlich, wenn er partout nicht mag, lassen wir es vorläufig gut sein und denken für uns: „Spannend!? Was steckt dahinter?“). Für ihn ist es nämlich sehr wichtig.
Die meisten Patienten finden bald Spass daran. Manche stehen aber vor einer Hürde, denn die Geste des Schulterklopfens, ganz besonders in Gegenwart einer Person ausgeführt, die man mit einer gewissen Autorität sieht, wird meist als peinlich empfunden („Eigenlob stinkt.“). Gerade deshalb lohnt sich das Insistieren, um durch die Überwindung dieser Peinlichkeit eine grössere Vertrautheit und Selbstsicherheit zu bewirken.
Die Vorteile des physischen Durchführens sind entscheidend: 1. Es hat etwas positiv Verpflichtendes an sich. 2. Was körperlich erlebt wird, macht die Dinge viel spürbarer und erfahrbarer, also viel wirksamer als nur ein Gedanke oder ein ausgesprochener Satz. Es prägt sich gewissermassen wörtlich ein.
Die folgenden Male ...
Schon beim zweiten Mal fällt natürlich der Überraschungseffekt aus, aber dafür entsteht eine zunehmende Vertrautheit mit dem Vorgang und vor allem mit dem damit verbundenen Gefühl von berechtigtem Stolz. Dieses soll sich ja mit der Zeit zu einer Grundhaltung entwickeln.
Mit der Zeit brauche ich nicht einmal mehr die Frage zu stellen. Es reicht, dass ich die Einladung mitten in einem Gespräch mimisch und gestisch andeute, mit dem Arm auf die Schulter des Patienten zeige, damit er sich von selbst auf die Schulter klopft. Kaum je kommt der Patient dabei nicht zumindest zum Schmunzeln. Die ganze Atmosphäre der Psychotherapie wird damit entspannter und gelöster. Macht die Therapie auch wirksamer.
Besonders erfreulich ist es natürlich, wenn Patienten plötzlich beginnen, sich spontan in der Sitzung auf die Schulter zu klopfen.
Ein nützliches Ritual für zuhause ...
Oft empfehle ich – vornehmlich Patienten, die mit Selbstwertproblemen kämpfen, die aber den Inhalt des Schulterklopfens verstanden und akzeptiert haben – jeden Abend vor dem ins Bett gehen, sich kurz Zeit zu nehmen, um sich auf die Schulter solange zu klopfen, bis ihnen drei, wenn auch nur geringfügige Gründe eingefallen sind, die dieses kleine Lob an diesem, vergangenen Tag verdient haben. Solche Erfolge brauchen für andere Menschen überhaupt nicht spektakulär zu sein.
So berichtete mir beispielsweise eine schwer depressive Patientin, am Abend habe sie sich dafür auf die Schulter geklopft, dass sie am Morgen überhaupt aufgestanden sei und sich angekleidet habe... Was für Andere eine Selbstverständlichkeit ist, war für sie eine grosse Leistung. Ihre Antriebshemmung war von da an in ihren eigenen Augen nicht mehr einfach nur Versagen: Ein grosser Schritt nach vorne!
Zusammenfassend
- Sich selber auf die Schulter zu klopfen ist eine höchst einfache, kulturell eingebundene, im Alltag absolut autonom einsetzbare und sehr fruchtbare Form von Ich-Stärkung.
- Sich selber auf die Schulter klopfen zu lassen ist weit potenter als Mut zuzureden, zu trösten usw.
- Ziel ist unbedingt, dass der Patient sich eine grössere Selbstanerkennung zuteil werden lässt.
- Schulterklopfen macht Spass, und ist auch deswegen schon therapeutisch ...
P.S.:
Bravo! Sie haben diesen Text bis zu Ende gelesen! Können Sie sich dafür auf die Schulter klopfen? Wenn Sie neugierig geworden sind, beispielsweise mehr über konkrete Anwendungsmöglichkeiten und Indikationen, über die ethologischen Hintergründe, über Unterschiede zu ähnlichen Methoden zu erfahren, dann warten spätere Texte auf Sie.
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s. Diskussionsbeitrag vom 28.12.2018, Dr.med. Heini Frick (Home -> Diskussion)