1. Wie erkläre ich meinem Patienten, was Hypnose ist? Die Hypnose als erlebnisorientierter Kommunikationsmodus, oder die „Schönwettermetapher“
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1. Die Schönwettermetapher
Nicht selten suchen uns ambivalente Patienten auf, die zwar mit Nachdruck und grossen Hoffnungen den Wunsch nach einer Hypnosebehandlung äussern, sich aber gleichzeitig schrecklich vor ihr fürchten als einer gefahrenreichen Angelegenheit, und über deren therapeutische Lauterkeit sie grundsätzliche Zweifel hegen. Auf ein ähnliches, paradoxes Verhalten können wir auch stossen, wenn wir einen Patienten mit dem Vorschlag der Hypnose vielleicht überraschen, und wenn er sich darunter nur wenig vorstellen kann.
Um derartigen verunsichernden Verirrungen entgegenzuwirken, könnten wir natürlich die wissenschaftlichen Ärmel hochkrempeln und solche Skeptiker darüber aufklären, was die Hypnose hirnphysiologisch nachweislich wirklich ist, und dass sie etwas total Anderes ist als Showhypnose, dass die Hypnose bei uns ja in einem sicheren, therapeutischen Rahmen stattfindet, und noch viele weitere, rationale Argumente anführen. Die Tücke daran ist, dass wir dann dabei sind zu versuchen, mit kognitiven Mitteln etwas zu beschreiben, was sich fernab vom Kognitiven abspielt: Hypnose findet im unmittelbaren, animalischen Erleben statt und nicht im Denken. Daher bleibt es für den Patienten eine sehr schwierige Aufgabe, wenn er sich über einen solchen, intellektuellen Umweg ein lebendiges, konkretes und positives Bild der Hypnose zusammenzufügen muss, insbesondere solange er es nicht mit schon Erlebtem verknüpfen kann.
Wir könnten auch – was gerne empfohlen wird – den Vergleich mit den sogenannten Alltagstrancen anstellen, also mit ganz gewöhnlichen, hypnoseähnlichen Erfahrungen, die jedermann bekannt sind, um das Vertrauen zur Hypnose finden zu lassen. Wir würden den Patienten an eigene Erlebnisse von Versenkung ins Musikhören, von Absorbiertsein in eine packende Lektüre, von Meditation oder von Tagträumen usw. erinnern und dies mit der Hypnose in Verbindung bringen. Dieses Vorgehen bringt gleich zwei Haken mit sich: Erstens schaffen solche Parallelen nicht viel Klarheit über die Unterschiedlichkeit von Trance und „normalen“ Wachsein. Vielmehr lassen sie die Hypnose in einem sehr banalisierten Licht erscheinen, welches diese Methode nicht unbedingt als potentes therapeutisches Mittel darstellt... Zweitens übersehen sie einen zentralen Unterschied: Die Alltagstrancen beziehen sich auf „Solo“-Situationen, also auf Situationen, in denen ein Mensch allein und ganz für sich in gewisse Spontantrancen gleitet, wohingegen die Hypnose eine gezielte „Duett“-Situation sein wird, in der die Wirkung der Beziehung eine entscheidende Rolle spielt. Dies sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Am besten verzichten wir auf rationale Erklärungen und nutzen eher eine Metapher, um unsere Botschaft darin zu verkleiden. Auf diese Weise lässt sich der Unterschied zwischen Hypnose und Wachzustand auf direkte und sinnfällige Weise nahebringen. Meine Lieblingsmetapher hierfür ist die „Schönwettermetapher“.
Die Schönwettermetapher
Sie besteht aus dem Vergleich von zwei nebeneinander gestellten Kommunikationssituationen:
Situation 1:
Ich sitze mit Ihnen auf einer Sonnenterrasse, wir plaudern gemütlich bei Kaffee und Kuchen. Thema ist das Wetter, und ich bringe eine ganz banale Meinung ein: „Es ist wunderbares Wetter.“ Was geschieht augenblicklich in Ihren Gedanken, bzw. was fangen Sie zwangsläufig mit meiner Bemerkung an?
Sie blinzeln ganz kurz zum Wetter hinüber – vielleicht nur mental – und prüfen, ob auch für Sie dieses Wetter als wunderbar gelten kann. Für Sie ist vielleicht der Himmel jetzt nicht so, wie er für Sie sein soll, und Sie stellen meine Beurteilung in Abrede. Es entfacht sich dann zwischen uns eine möglicherweise sehr anregende Unterhaltung, ein freundschaftlicher Schlagabtausch von Gründen, weshalb das Wetter so und nicht anders zu beurteilen sei: „Ja herrlich, aber ...“ oder „Nein, gar nichts für mich ...“ Fröhlich argumentieren wir miteinander drauflos, und unsere Argumentationen drehen sich letztlich um Fragen wie „einverstanden oder nicht einverstanden?“, „gut oder nicht gut?“ usw. Glücklicherweise braucht dabei keiner von uns aufgrund von neu gewonnenen Einsichten seine Ansicht zu ändern.
Situation 2:
In der zweiten Situation sitzen wir in meinem Sprechzimmer, und ich lade Sie ein, die Augen zu schliessen. Sodann schlage Ihnen vor, sich Ihren Traumstrand vorzustellen: Vor Ihnen öffnet sich das weite Meer in seinem unvergleichlich warmen Blau... bis hin in die Ferne des Horizonts... und der feine, warme Sand unter Ihren Füssen quillt wohlig zwischen den Zehen durch... über Ihrem Kopf kreisen segelnd kreischende Möwen... und es ist wunderbares Wetter... Sie fühlen sich herrlich wohl... Wenn Sie meinen Anregungen folgen, wird sich bald ein sinnliches, immer reicheres, immer lebendigeres Bild entfalten, nicht nur vor Ihrem inneren Auge. Dieses Bild, das ganz Ihre eigene Kreation ist und von mir nur angeregt wurde, wird Sie mit grösster Wahrscheinlichkeit in ein immer behaglicheres Gefühl gleiten lassen... und zwar hier in meiner Praxis.
Vergleichen wir
Haben Sie sich geachtet? In beiden Situationen habe ich genau denselben Satz ausgesprochen: „Es ist wunderbares Wetter“. Die Wirkungen fielen aber total unterschiedlich aus. Beim Kaffee löste er eine mehr oder weniger anregende Diskussion mit Argumentationen zu „einverstanden-nicht einverstanden“ aus. Nach einem ganz einfachen Augenschluss aber kamen Sie nicht mit dem leisesten Gedanken auf die Frage: „Bin ich einverstanden oder nicht?“ Auch kam nicht die Idee auf, ob Sie mit mir darüber diskutieren wollten oder nicht.
Völlig selbstverständlich und unweigerlich haben Sie diesen Satz ungeprüft „geschluckt“, um dann aus ihm Ihr eigenes Bild Ihres eigenen, wunderbaren Wetters zu kreieren und es in Ihr Strandbild zu integrieren. Was also im Wachzustand Anlass war, selbstverständlich mit Argumentieren zu reagieren, wird mit geschlossenen Augen aufgegriffen, um ebenso unvermeidlich einen kreativen Akt auszulösen: Sie kreieren sich ein ganz bestimmtes, wunderbares Wetter, das eigens für Sie und für jetzt passt. Mit anderen Worten, genau dieselbe Äusserung wird einmal zum initialen „Argument“ einer Diskussion, das andere Mal zur „Suggestion“, je nach dem ob die Augen offen oder geschlossen sind. Dazu kommt, dass im hypnotischen Zustand das entstandene Bild zum Erlebnis wird – es verändert Ihre Stimmung – ein Reichtum, der beim Argumentieren gänzlich fehlt.
Die beiden Situationen zeigen also zwei radikal unterschiedliche Bewusstseinszustände auf. Im einen reagieren wir in einem dualen (Zweiheit bildenden) Modus von „Ja-Nein“ und im anderen reagieren wir bildhaft (Einheit bewahrend) und ohne gedankliche Spaltung. Wir dürfen mit Recht den einen Bewusstseinszustand als „analytisch“ (auf-lösend) und den anderen als „synthetisch“ (zusammen-setzend) bezeichnen, und diese jeweils den Begriffen „Wachzustand“ und „Hypnose“ zuordnen.
Ein paar Bemerkungen und Betrachtungen
- Unsere Schönwettermetapher veranschaulicht nicht nur inhaltlich den wesentlichen Unterschied zwischen normaler und hypnotischer Erlebnisweise. Als Metapher und dank der dadurch bedingten Erzählweise wirkt sie selber als eine Art feiner, hypnotischer Induktion, und vermittelt so auch schon einen kleinen Duft der angekündigten Hypnose ...
- Die natürliche Einfachheit des Vergleichs – Kaffee trinken oder Augen schliessen – zeigt eindrücklich, dass auch durch einfachste Mittel wichtige Veränderungen des Bewusstseinszustands möglich sind, und dass auch eine ganz „leichte“ Trance grosses therapeutisches Potential in sich birgt.
Gleichzeitig macht die Schönwettermetapher für den Patienten ohne grosse Umwege einsichtig, dass das Diskutieren im Wachzustand für ihn weniger therapeutische Veränderungen bringen wird als das Arbeiten in Trance, und dass diese Trance weder etwas Banales noch etwas für ihn Gefährliches sein wird.
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s. auch Diskussionsbeitrag
18.06.2021 – 26.07.2021 Dipl.-Psych. Sigtraud Hopfstock