«Sich stellen – Aushalten – Neugierig werden»

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«Sich stellen – Aushalten – Neugierig werden»… und die Hypnose

Ich liebe ganz einfache Merksätze oder Formeln, die mir helfen, Orientierung in meiner Arbeit zu finden. Heute stelle ich Ihnen eine solche Trias1 von Begriffen vor, einen kleinen, magischen Wegweiser. Mit seiner Hilfe lässt sich der rote Faden in heiklen oder stockenden Therapiesituationen leichter wieder auffinden. Er fasst die Abfolge von drei Stationen zusammen, die nacheinander zu durchlaufen sind, um sich zwischen emotional schwierigen, komplizierten psychotherapeutischen Klippen mit möglichst sicherem Steuer durchmanövrieren zu können.

Obwohl das Thema an sich nicht kompliziert ist, bietet es sich an, um etwas ausführlicher und vertiefter über die Mechanismen nachzudenken, die hinter den besagten Begriffen und insbesondere hinter der Hypnose liegen. Dieser Text kündigt sich also ein bisschen länger an. Deshalb wird es hilfreich sein, ihn mit einer Zusammenfassung zu beginnen, damit der Überblick für die weitere Lektüre einfacher wird:











- Die erste Station heisst: Sich stellen, bzw. den Patienten in die Lage bringen, sich stellen zu können. Solange die Begegnung mit schwierigen Emotionen gescheut und davor geflüchtet wird, kann sich logischerweise nichts daran ändern.

- Der Übergang in die zweite Station ist fliessend. Diese besteht darin, die belastende Emotion, der man sich gestellt hat, auszuhalten, komme, was da wolle, und nicht gleich wieder wegzuschleichen. Bei unaushaltbaren Emotionen ist dieses Ausharren in der Regel nicht ohne die schützende Unterstützung des Therapeuten durchzustehen.

- Schliesslich, wenn das Aushalten gelingt und der Patient feststellen kann, dass der befürchtete Schrecken doch durchzustehen ist und er somit auch stärker ist als seine Angst davor, kann als dritte Station die Neugier Einzug halten. Erst diese ist dann in der Lage, Veränderungen hervorzubringen.











Soweit die Struktur des therapeutischen Plans – und welche Rolle spielt dabei die Hypnose? Nun kommt es darauf an, welches Bild man von ihr hat, und zu welchem Engagement der Therapeut bereit bzw. fähig ist. Beschäftigen wir uns doch gleich vorweg mit dieser Frage. Schliesslich geht es in diesem Blog zentral um die Hypnose.

Hypnosetherapie: nicht nur «Gesund durch Wellness»…

In Hypnotherapeutenkreisen wird die Hypnose nicht selten – implizit oder gar mit Überzeugung – etwas achtlos als etwas wie eine «Heiltrance durch unbeirrbare Positivität» gesehen: Hypnose muss immer positiv sein, immer positiv formuliert, sie darf ausschliesslich positive, entspannende, wohltuende, stärkende Bilder einbringen, sie sieht die Zukunft immer positiv und muss vom Anfang bis zum Schluss vollkommene Harmonie anstreben, usw. Mit einer solch vereinfachenden Vorstellung im Kopf wird es schwierig, hilfreich zu reagieren, sobald in einer Trance unerwartet Emotionen auftauchen, die auf die Schnelle als nicht positiv bewertet werden können: Angst, Panik, Wut, Trauer usw. Solche «Unfälle» lassen nämlich gerne den Reflex aufstarten, eiligst nach einem besonders positiven, kreativen und heilwirksamen Ressourcenbild zu suchen. Motto: Sofort beruhigen und ins Positive zurückführen!

Sorgt aber dieses Mittel nicht für baldige und mühelose Rettung – sprich: die beunruhigende Emotion löst sich nicht sofort auf, weil es sich offensichtlich um ein ernsthafteres Problem handelt – wird die Hypnose enttäuscht abgebrochen, und im schlimmsten Fall sogar für die weitere Arbeit als ungeeignet erklärt. Oder noch schlimmer: der Misserfolg wird dem Patienten angelastet und dieser wird wegen mangelnder Kooperation oder Suggestibilität kurzerhand als ungeeignet für Hypnosetherapie abgestempelt. Für den Therapeuten besteht dann der einzige Ausweg – wenn er nicht das Handtuch wirft – in der sicheren Rückkehr zu den vertrauten, nicht-hypnotischen Mitteln, zu den wie auch immer therapeutischen Gesprächen, zu kognitiv verhaltenstherapeutischen Trainings, zu Medikation usw.

Eine in diesem Stil einspurig «hyperpositive» Sicht der Hypnose übersieht aber mit entsprechenden Folgen deren wirkliches, viel tieferes, therapeutisches Potential. Betrüblich, und eigentlich auch irrational, wenn der wesentlichste und spannendste Teil der Hypnose einfach brach liegen bleibt! Hinter dieser selbst auferlegten Einschränkung, der sich diese Hypnotherapeuten unterziehen, werden wohl irgendwelche hintergründige Motive schlummern2. Trotzdem lohnt es sich, jetzt doch unbedingt genauer hinzuschauen, worin dieses Potential besteht.

Das aussergewöhnliche Potential der Hypnose

Für die Therapie ist die Möglichkeit, mit einem Psychotherapeuten über seine Gefühle zu reden oder mit ihm funktionalere Reaktionen einzuüben, das Eine – und unbestritten oft hilfreich. Aber die Chance, im Schutz einer hypnotischen Beziehung in das gefürchtete Gefühl selbst einzutauchen, ist etwas Anderes und therapeutisch ungleich wirksamer.

Mit ihrem ungewöhnlichen Setting, ihrer einzigartigen Nähebeziehung und den mit ihr einhergehenden, spezifischen Veränderungen des Bewusstseinszustands bietet die Hypnose einen ausserordentlich potenten, geborgenen, therapeutischen Schutzraum. Ein solcher ist für die Arbeit an wirklich schwierigen Emotionen unerlässlich. Mit der Hypnose schaffen Patient und Therapeut die sicherste Bühne, die man sich für ein psychotherapeutisches Setting vorstellen kann, eine Bühne, auf der sich ein vielleicht noch nie mitgeteiltes Leiden, eine tiefste Verletztheit emotional «in echt» offenbaren und mitteilen kann. Und dabei entsteht nicht nur ein diagnostischer Gewinn, denn im gleichen Zug findet eine tiefgreifende, therapeutische Arbeit statt.

Also drängt sich die Hypnose gerade für besonders schwierige psychotherapeutische Situationen als das Mittel der Wahl auf, und nicht das Ausweichen oder Zurückkehren zu nicht-hypnotischen Methoden. Entsprechend sind sogar wohlgemeinte, «positive» und lediglich beschwichtigende Suggestionen in der Hypnose tendenziell kontraindiziert. Hypnose erweist sich als viel mehr als nur ein positives «Kuschelbad» zu Beruhigungs- und zu Kreativitätsförderungszwecken: Wir haben mit ihr einen starken, therapeutischen «Brutkasten»3 für anspruchsvolle therapeutische Arbeit.

Die drei Stationen der Arbeit

Nach dieser etwas ausführlichen Präambel kommen wir jetzt zum eigentlichen Thema dieses Textes: die Abfolge von drei Stationen, die durchlaufen werden müssen, damit der Umgang mit schwierigen Emotionen in der Arbeit mit Hypnose möglichst klar und sicher vonstatten gehen kann. Die drei Stichwörter heissen, wie wir eingangs sahen: Sich stellen – Aushalten – Neugier.

Diese Reihenfolge von Stationen beschränkt sich im Übrigen nicht auf die hypnosetherapeutische Situation. Auch in nicht-hypnotischen Therapien macht das Einhalten dieses Ablaufs Sinn. Sogar im ganz gewöhnlichen Alltag findet sie immer statt, wenn wir vor unangenehmen oder peinlichen Situationen stehen und uns am liebsten drücken möchten. Auch da haben wir lernen müssen, uns zuerst zu stellen, dann die Peinlichkeit auszuhalten, und schliesslich neugierig zu werden, welcher konstruktivere Umgang mit der Situation sich dadurch eröffnet. 

1. SICH STELLEN

Der Stamm bzw. Ursprung all unserer Verhalten ist – das lehrt uns die Humanethologie – in der Tatsache zu finden, dass wir in den wichtigen Dingen des Lebens (immer noch nichts Anderes als) Säugetiere sind, also animalisch reagieren. Auf dieser Ebene ist auch das Gerangel mit dem Sich-Stellen zu verstehen.

Die Primärreaktion: Flucht oder Angriff

Gefahr, bzw. Angst – und überhaupt schlimme Gefühle jeder Art – lässt Säugetiere grundsätzlich zunächst automatisch zurückschrecken, egal ob es sich dahinter um eine reale, eine erinnerte oder eine imaginierte Situation handelt. Wir schalten reflexartig auf Ausweichen, Wegschauen, Flüchten oder Angreifen um. Dieses blitzartige Aufstarten des Flucht- und Angriffsmodus wird nicht vom planenden Ich gesteuert, sondern von animalischen, mehr oder weniger blinden Automatismen ausgelöst. In der Ethologie spricht man von «survival mode»-Reaktionen. Es handelt sich dabei um reflexhafte Primärreaktionen, die dem momentanen, unmittelbaren Überleben dienen. Da bleibt keine Zeit, kein Raum, keine freie Valenz für überlegtes Reagieren, denn es muss unverzüglich gekontert werden. Diese überlebenssichernden Aktionen sind biologisch durchaus sinnvoll, denn wenn sie zum Erfolg führen («Raubtier ist abgehängt bzw. verscheucht – kann jetzt wieder weiter grasen»), geht die Welt wieder ihren gemütlichen Lauf. 

Wenn sich hingegen ein Erlebnis emotional nicht so einfach wegstecken lässt, weil der «survival mode» nicht rechtzeitig zu einem «happy end» führt, so friert es zu einer Art emotionalen «Bildstillstands» ein, das sich im Gedächtnis einbrennt und dadurch unverdaute Spuren des Schreckens hinterlässt. Derartige Prägungen bleiben nicht inaktiv und generieren Symptome, welche die Patienten später in unsere Praxen führen und die letztlich nichts Anderes als alte «survival mode»-Fluchtreaktionen darstellen, die in der Aktualität keinen Sinn machen. Meist lassen diese Reaktionen nicht mehr erkennen, was deren Ursprung war. Aber mit tragischer Konsequenz bestimmen solche verborgenen Erinnerungen auch nach langer Zeit, sobald sie irgendwie angetippt werden, emotionale Fehlreaktionen.

Um therapeutisch an diesen «Wiederholungszwängen» arbeiten zu können, müssen die alten Primärreaktionen als Erstes unter kontrollierten – sprich therapeutischen – Bedingungen aktiviert werden: Wir können ja nicht an etwas arbeiten, das nicht da ist. Doch befinden wir uns hier an einer kniffligen Schnittstelle: Paradoxerweise soll die Primärreaktion einerseits zwecks therapeutischer Veränderung freiwillig und bewusst ausgelöst werden, gleichzeitig löst sie aber per se Flucht oder Kampf aus, was wiederum den Zugang zu ihr verunmöglicht. Es gilt also, die Primärreaktion zu überlisten. Dieses Manöver beginnt mit einer sogenannten «beruhigenden Sekundärreaktion».

Die beruhigende Sekundärreaktion:                                              letzte Vorbereitungen vor dem Sich-Stellen

Bevor irgendeine Beruhigungsaktion angesteuert werden kann, müssen im Vorfeld schon verschiedene Prozesse stattgefunden haben: Zuerst musste überhaupt die Einsicht ankommen, dass man im Sumpf steckt, und nicht nur dies, sondern auch dass man etwas dagegen tun kann. Mit anderen Worten musste die eigene Opferposition erkannt werden, und die Möglichkeit, Gestalter zu werden, ins Bewusstsein gelangen. Dann musste auch die (wirkliche) Entscheidung fallen, dass man etwas dagegen tun will.

Für den konkreten Moment, in dem das Sich-Stellen einsetzen soll, muss zwingenderweise eine ausreichend zuverlässige, unmittelbar beruhigende Sekundärreaktion mit Sofortwirkung bereitstehen. Für einfache Fälle oder in Situationen des Alltags reicht beispielsweise schon das rasche Bewusstwerden, dass wir uns jetzt in der Realität in einer Situation befinden, die absolut harmlos ist. Bei komplexeren Problemen hingegen bedarf es einer geplanten und gezielten, den Stress ableitenden Kurzintervention – heute sagt man dem ein «Tool» – wie eingeübtes tief Atmen, Augen rollen, sich kneifen, sich ablenken, rückwärts zählen, Rezitieren eines persönlichen «Mantras»4, Hilfe suchen etc.

Erst wenn eine minimale Ruhe eingetreten ist, oder genauer gesagt, erst wenn das Umschlagen in diese Richtung stattgefunden hat, kann der eigentliche Schritt zum Sich-Stellen folgen. 

Endlich sich stellen

Der Ausdruck spricht für sich: Schon nur das Wort «stellen» drückt eine innere, aktive Bewegung des sich «Aufrichtens» aus, bringt in die Senkrechte. Gleichzeitig ist es eine Bewegung, die auf einen festen, stabilen Boden weist. Sich stellen5 beinhaltet etwas Ruhiges, Starkes, Absolutes, vielleicht sogar Stolzes: «Hier bin ich, hier steh ich (…folglich kannst ich mich zeigen!)». Implizit setzt es zu einem Vorwärtsdrang an, der sich aber noch zurückhält, noch nicht zur Bewegung wird. Sich stellen ist metaphorisch etwa, wie wenn man sich aus dem Rückwärtsgang ausgeklinkt und den Vorwärtsgang schon eingeschaltet hat, aber mit laufendem Motor noch in Startposition verharrt. Es herrscht Aufbruchstimmung.

Sich stellen heisst, der Gefahr in die Augen schauen6  zu wollen und zu können. Der Flucht- oder Angriffsmodus hingegen verschliesst unseren geistigen Blick in jeder Hinsicht. Natürlich bleibt letztlich auch dem offenen Blick verschlossen, was sich aus diesem «Sich-Stellen» ergeben wird, eine Ungewissheit, die Mut und Zuversicht erfordert. Ohne die intuitive Gewissheit, dass in der eigenen Tiefe eine aktive Lebenskraft bereitsteht, die dem Ungewissen, vielleicht sogar einer unbequemen Wahrheit zu trotzen vermag, kann man sich nicht stellen.

Indem wir uns einer Angst oder einem Affekt stellen, machen wir uns – wenn auch nur ein klein bisschen – stärker als diese Angst. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so öffnet sich auf animalischer Ebene der Zugang zum Gegenpart des weiter oben erwähnten «survival mode», dem «seeking mode». Zu diesem «Suchmodus» ein paar humanethologische Bemerkungen:

«Seeking mode» und «survival mode» stehen zueinander in einem absoluten Entweder-oder-Verhältnis. Es gibt kein Dazwischen und auch keinen Mix von beiden. Entweder Survival oder Seeking. Der «Seeking mode» kann sich nur aus der Ruhe heraus und bei genügender Sicherheit einstellen. Er zeichnet sich, wie der Name sagt, durch Suchverhalten, Neugier, aber auch durch die Möglichkeit der Planung aus. Die Wirkung des Suchmodus ist eine doppelte: Er schafft die Möglichkeit, durch Suchverhalten für jetzt und für die Zukunft neue Verhalten zu entwickeln und ermöglicht so Reifung und Evolution. Gleichzeitig führen diese Suchverhalten im Hier und Jetzt zu einer Vertiefung der aktuellen Beruhigung. Beim Homo sapiens lässt sich dieser letzte Aspekt ganz einfach anhand der allseits bekannten Wirkung von Sudokus oder Kreuzworträtseln veranschaulichen: Ist überhaupt die Voraussetzung, dass man sich zuerst hinsetzt (beruhigende Sekundärreaktion) erfüllt, dann führt die wachsende Aktivierung der Freude am Rätseln ganz von allein zu einer sich vertiefenden Entspannung des gesamten Organismus. Bei unseren nächsten Verwandten nimmt beispielsweise das Lausen, bei Pferden das Knabbern nach kleinen Heurestchen in der Boxe dieselbe Rolle ein.

Der Umschlagpunkt von Überlebensmodus auf Suchmodus findet sich also in der Kombination von beruhigender Sekundärreaktion und Sich-Stellen. Dies ist auch der Punkt, an dem das Gefühl innerer Sicherheit gegenüber der Angst Oberhand gewinnt. Menschen, die eine ausreichende innere Sicherheit in sich tragen, brauchen in der Regel keine Therapie, um sich zu stellen. Wo aber diese Bedingung (noch) nicht erfüllt ist, muss das Manko durch die Rückendeckung eines anderen, stärkeren und vertrauenswürdigen Menschen wettgemacht werden. Bei Kindern gewährleisten typischerweise die Eltern diesen Rückhalt, und bei Erwachsenen springen hier Freunde oder ein Therapeut ein. Das Vertrauen in diese Person muss stärker sein als die eigene Angst und muss je nach dem zuerst über längere Zeit aufgebaut werden. Dieses «externe» Vertrauen wirkt so wie eine zeitweilige «Prothese» oder «Krücke» für die eigene, noch zu schwache, innere Sicherheit des Patienten. Motto: Zu zweit sind wir dann stark genug, um der Gefahr zu trotzen.

Kurz zusammengefasst: Um sich einer schwierigen Emotion stellen zu können, bedarf es einer inneren Vorbereitung, einer wirksamen Sekundärreaktion und der Zuversicht, dass die Situation sicher genug ist, ungeachtet ob sich die Sicherheit aus eigener Kraft oder aus der Unterstützung einer Hilfsperson ergibt. 

…und die Rolle der Hypnose

Natürlich kann ein Mensch grundsätzlich auch ohne Hypnose überzeugt werden, sich einem Problem zu stellen. Trotzdem gibt es – wie immer – eine Menge ganz guter Gründe, die Anwendung von Hypnose zu bevorzugen. Dort, wo es einer wirkkräftigen Unterstützung des Patienten bedarf, weil ihn seine Ängste blockieren oder gar ihn zu überwältigen drohen, drängt sich die Hypnose als das Mittel der Wahl auf.

  • Eingangs betonten wir schon das besondere Potential der Hypnose als therapeutischer «Brutkasten», als kraftvoller Schutzraum mit einer besonders intensiven, von gegenseitiger Innigkeit geprägten Nähebeziehung. Letztere legt ein sicheres Fundament für die nötige Zuversicht, die es braucht, um sich stellen zu können, ganz entsprechend wie die stimmige Eltern-Kind-Beziehung die Entwicklung eines Urvertrauens im Kind begründet. Als Vorbereitung für das Sich-Stellen wirkt der «Brutkasten» fördernd für das Sammeln des eigenen Muts, bzw. lässt diesen wachsen, bis alles zum Aufbruch parat ist. Er bereitet auch den Boden vor, auf dem der Patient sich wird auf-stellen können. Also allein die Natur der hypnotischen Beziehung, ohne speziellen Inhalt, fördert den Prozess der Vorbereitung und der Begleitung im Aufrichten.
  • Die Natur der Hypnose selbst bietet noch mehr als nur die Unterstützung des aufkeimenden Muts. Sie hilft auch auf einer ganz anderen Ebene: Als nicht-argumentativer, dafür unmittelbar erlebnisorientierter Bewusstseinszustand7  verhindert sie, dass wir in der Arbeit mit einem Patienten zu befürchten haben, ständig mit sterilen Opferhaltungsgegenargumentationen konfrontiert zu werden: «Ich kann das nicht.», «Ich bin zu schwach.», «Die anderen sind schuld.» usw. Solche Schutzargumente wollen eigentlich nur vor Veränderung bewahren. Diese können in einer hypnotischen Trance gar nicht aufkommen, weil sie nicht Teil des Erlebens sind, sondern auf der Ebene der Interpretation bzw. der Beurteilung der Situation entstehen und somit nicht-hypnotisch sind. Das Ausschalten des Argumentierens ist eine der zentralen Stärken der Hypnose.
  • Eigentlich jede hypnotische Induktion beginnt in der einen oder anderen Form mit einer Ruhigstellung, sprich mit direkten oder indirekten Suggestionen von Entspannung bzw. Entstressung. Somit folgt sie dem animalischen Gesetz der Umstellung vom stressinduzierten «survival mode» zum konstruktiven «seeking mode». Dieses erfordert, wie wir sahen, zwangsläufig eine initiale Beruhigung. In diesem Sinn wirkt die Hypnose auch wieder, allein schon aufgrund ihrer Induktion, auf das Erreichen des Sich-Stellens hin.
  • Weiter kann die Hypnose auch gute Dienste leisten, um geeignete persönliche «Tools» für die Sekundärreaktion zu finden oder einzuüben. Wenn sich beispielsweise in Altersregressionen Situationen finden lassen, in denen es der Patient schaffte, eine Angst zu überwinden, kann dieses Erfolgserlebnis wieder hervorgeholt und für die Gegenwart verankert werden.
  • Ein weiterer, diskreter, aber wichtiger Effekt der Hypnoseinduktion: Schon mit seiner Einwilligung, die Augen zu schliessen und sich in Hypnose sinken zu lassen, hat der Patient eine Entscheidung gefällt, deren Tragweite nicht zu unterschätzen ist. Nicht anders als beim Einsteigen in jede Hypnose war das Kommende zwangsläufig mit etwas nicht vollständig Vorhersehbarem verbunden. Hypnose heisst nämlich immer, sich in das Unbekannte der Trance sinken zu lassen und sich damit auf ein Wagnis einzulassen. Um dafür bereit zu sein, musste der Patient also ein Stück Mut anzapfen. Von diesem Moment an – also ab Beginn der Hypnose – steht dieser erste Schritt für die gesamte weitere Arbeit «Modell»: Immer, wenn es in der Hypnose emotional wieder mulmig wird, kann der Therapeut auf dieses unbestreitbare Eingangserfolgserlebnis zurückgreifen, um den Patienten an seinen Mut zu erinnern.
  • Schliesslich bringt die Hypnose eine weitere Eigenschaft mit eigentümlicher Wirkung mit sich: Im Sinken in die Trance löst sich die Kontrolle über den Therapeuten auf – und im gleichen Zug auch die Übertragung. Was bedeutet dies konkret für das Sich-Stellen? In Trance und mit geschlossenen Augen ist die Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Therapeuten ausgerichtet, sondern ausschliesslich auf die eigene Innenwelt. So gibt es weder eine Versuchung, dem Therapeuten gefallen noch eine, ihn überzeugen zu wollen. Eine mögliche, auf den Therapeuten übertragene Verlustangst schwindet ebenso. Es verbinden sich für den Patienten in der Hypnose maximale emotionale Freiheit mit maximaler Sicherheit. Wenn er sich also seiner Angst stellt, tut er es nicht, weil er sonst befürchten müsste, den Therapeuten zu verlieren, sondern er kann es wirklich aus authentischem, eigenem Antrieb tun. 

Praktisches

Theorie ist immer schön, aber wie sieht die Umsetzung aus? Wie unterstützen wir den Patienten mit Hypnose ganz konkret im Hinblick auf das Sich-Stellen? Im Folgenden ein paar Anregungen.

- für die Vorbereitungsphase

Es braucht keine spezifischen, gezielten hypnotischen Interventionen, um einem Patienten zu helfen, sich seinem Problem zu stellen. Vielmehr geht es um einen Reifungsprozess, der unterstützt werden soll. Haben wir dies im Blick, und wenn wir uns an eine ermunternde, schützende und explorative Haltung halten, entsteht das notwendige Vertrauen von alleine, auf dessen Basis der Patient dann den Startschuss selber geben kann. Als Therapeuten bleiben wir nur auf der Lauer nach einem geeigneten Anlass, die Hypnose vorzuschlagen. In der Hypnose selbst lässt sich der «Brutkasten» selbstverständlich auch durch beliebige Vorschläge von Ich-stärkenden Interventionen bereichern wie Krafttiere, Lichtduschen, 3D-Übungen, Raumfüllübungen, oder was immer die gemeinsame Phantasie von Patient und Therapeut hervorbringt.

- für die Einladung

Wenn «die Frucht reif» ist, bedarf es eigentlich ganz wenig, damit sich das Sich-Stellen quasi von selbst auslöst: Vielleicht spüren wir, dass sich eine Emotion im gesuchten Sinn anbahnt – eine Veränderung in seiner Stimme, ein plötzlicher emotionaler Einwurf ohne erkennbaren Grund o.ä.. In solchen Momenten können wir den Patienten direkt aus dem Gespräch heraus ganz einfach in eine Trance einladen, beispielsweise mit einer Einleitung wie: «Wenn Sie mir das jetzt so schildern…» oder: «Ich spüre in Ihrer Schilderung eine grosse Verzweiflung…» und dann die Frage: «Wären Sie einverstanden, die Augen jetzt zu schliessen… und zu beobachten, wie Sie sich genau in diesem Augenblick in ihrem Körper fühlen…, welche Körperteile auf das, was Sie gerade gesagt haben, wie reagieren?»

Mit dieser Frage verlagern wir die Ebene von einer kognitiv geprägten Schilderung im Gesprächsmodus hin zu einem direkten Erleben der Emotion. Mit anderen Worten führen wir den Patienten von einem distanzierten Beschreiben zu einem emotionalen Engagement im Prozess des Sich-Stellens. Vorausgesetzt, ich habe meinem Patienten von Anfang an eine sichere Grundhaltung vermittelt, dass ich seine Gefühle bedingungslos ernst nehme, ohne mich jedoch auf «Spielchen» wie Argumentationen, Ablenkungsmanöver usw. inhaltlich einzulassen, ist nicht zu befürchten, dass er mir die weitere Arbeit verweigern wollte. Möglicherweise gibt es ein kurzes, verdutztes Innehalten, während dessen sich im Patienten eine wichtige Entscheidung ereignet, und dann schliessen sich die Augen. Im Grunde hat sich der Patient, in dem Moment wo er auf das Hypnoseangebot einsteigt und die Augen schliesst, schon gestellt. Im seltenen Fall, dass der Patient noch nicht bereit wäre, würden wir ihm mehr Zeit für den weiteren Vorbereitungsprozess lassen.  

2. AUSHALTEN

Jetzt spielt der Faktor Zeit

Der Patient hat sich gestellt, und damit ist der erste und wichtigste Schritt getan. Doch ist das Problem noch nicht gelöst. Denn jetzt droht die hinter der Abwehr lauernde, konkrete, ursprüngliche, schmerzhafte, vielleicht sogar überwältigende Emotion sich zu enthüllen: Trauer, Verzweiflung, Orientierungsverlust, Liebesentzug, ohnmächtige Wut usw. Der Patient verlässt das vertraute Terrain der Angst vor seinen Gefühlen, und taucht in die Tiefen der noch unbekannten «Originalemotion» ein.

Das Sich-Stellen war noch ein Stillstand und erst der Auftakt zur eigentlichen Vorwärtsbewegung, die als nächster Schritt einsetzen muss. Und so kommt der Faktor Zeit als entscheidendes Thema ins Spiel. Damit Bewegung und Veränderung zustande kommen können, braucht es die Dimension der Zeit. Die psychisch endlich «aufgerichtete» Haltung muss der Angst vor dem «Original» und dem «Original» selber über die notwendige Zeit standhalten, bis Veränderung stattfindet. Wir können hier ziemlich wörtlich von «die Stellung halten» reden. Es geht darum, dem Fluchtreflex, der sich zwangsläufig wieder melden will, die Stirn zu bieten. Die Kraft, die im Sich-Stellen wirkte, muss also noch zeitlich in die Länge gezogen werden. Darin besteht aushalten. Das Aushalten gibt verborgenen Ressourcen Zeit, sich zu finden und zum Leben gerufen zu werden. Natürliche Prozesse benötigen immer Zeit, sei es das Wachsen, Reifen, Gären, Ausbrüten, Verdauen, oder welche auch immer.

Jetzt benötigt der «Brutkasten» neben der Wärme und dem Schutz also noch eine wichtige, weitere Ingredienz: die Geduld. Geduld ist ein zentraler Aspekt des Aushaltens. Doch auch diese reicht hier alleine nicht aus. Denn der Patient ist ja jetzt nicht nur am Warten. Hierfür würde Geduld ausreichen. Aber er befindet sich in einer sehr ungemütlichen oder gar als bedrohlich erlebten Gemütsverfassung. Es braucht jetzt etwas Mächtigeres: die Zähigkeit des Aushaltens, einen ruhigen, kraftvollen Widerstand, das entschlossene Dranbleiben, das trotzt, auch wenn es eine Zeitlang höchst unangenehm bleibt und sich über eine mühevolle Durststrecke nichts zu ändern scheint.

Unterschiedliche Formen des Aushaltens

 «Aushalten» ist als Wort nicht eindeutig. Es bezeichnet mindestens zwei grundsätzlich unterschiedliche Verhaltensweisen. In seiner ersten, der passiven Form erleiden wir die Dinge. Wir lassen das Unangenehme oder Grauenvolle über uns ergehen, wie von der Sonne geblendet, und erstarren dabei in einem inneren Rückzug, chancenlos, aktiven Widerstand zu leisten. Wir warten und überleben in eingefrorenem Zustand, bis es vorbei ist und bis wir wieder sehen können. So wie das Kind, das brutal geschlagen oder gedemütigt wird. In diesem passiven Aushalten dissoziiert sich das aktive Ich vom Geschehen und schützt sich so vor der unaushaltbaren Realität. In einer massiv bedrohlichen Situation ermöglicht dieses Manöver zwar ein besseres psychisches Überleben. Doch als Nachteil lässt es klaffende Wunden offen und öffnet die Tür zu späteren, verharrenden Opferpositionen. Wenn wir therapeutisch arbeiten wollen, kann natürlich nicht von dieser passiven Form des Aushaltens die Rede sein.

Therapeutisches Aushalten muss etwas Aktives enthalten. Ziel ist ja ein Fortschritt, mit anderen Worten eine Vorwärtsbewegung. Zumindest im Ansatz muss also ein gesunder, aktiver, nach vorne zeigender Widerstandswille wieder geweckt worden sein. Irgendein Wollen muss, wie beim Sich-Stellen, weiterhin wirksam sein. Nur so können sich Ressourcen mit den verletzten Emotionen verbinden. 

Die Reassoziation mit Ressourcen geht nicht kostenlos vonstatten und erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Kraft und Energie. Der Moment des Aushaltens ist eine schwierige Zeitspanne, gerade weil oft scheinbar noch nichts passiert. Diese Unsicherheit zu stemmen ist der eigentliche Sinn des Aushaltens. Wichtig ist aber zu wissen und zu vertrauen, dass «insgeheim» in dieser Spanne im Schutz des Faktors Zeit die inneren, aktiven Ich-Stärken schon daran sind zusammenzuwirken, um in einer noch unbekannten Form Wandlung bzw. Erleichterung aufkeimen zu lassen.

Ebenso wie bei Station Nummer eins – dem Sich-Stellen – ist auch für Station Nummer zwei – dem Aushalten – eine hinreichende Rückendeckung durch den Therapeuten unerlässlich. Über die ganze Zeit des Aushaltens muss der Therapeut ganz nahe dabeibleiben, egal wie lange es dauert. Diskret bestätigt und ermuntert er den Patienten in seinem Aushalten. Unterstützen, aber ja nicht anfeuern! Auch wenn der Patient anfänglich in dieser Zeit keine Veränderung wahrnehmen kann, lernt oder übt er immerhin, Unangenehmes auszuhalten. Auch so ist auf dem Weg der Therapie etwas gewonnen (in unserer Zeit vielleicht gar nicht zu unterschätzen...).

…und die Rolle der Hypnose

  • Als Erstes sichert die Hypnose natürlich als therapeutischer «Brutkasten» einen idealen Rahmen für das Aushalten – genau gleich wie für das Sich-Stellen. Darin kann der Patient seinen Mut und seine Ausdauer besser aufrecht erhalten.
  • Als nächstes ein vielleicht überraschender, und in diesem Zusammenhang besonders interessanter Aspekt der Hypnose: Im Aushalten spielt die Zeit ja eine zentrale Rolle. Hypnose führt, wie wir wissen, grundsätzlich zu einer Veränderung des Zeiterlebens. Die «Zeitdistorsion» ist ein klassisches und vielseitig einsetzbares «hypnotisches Phänomen». Es zeigt sich darin, dass nach der Hypnose die Dauer in Trance anders erscheint als es auf der Uhr zu sehen wäre, beispielsweise als unendlich lang oder als sei sie im Flug vorbeigegangen. Genau genommen wird während der Trance selbst die Zeit gar nicht wahrgenommen: In der Trance versinkt die Zeit in eine zeitlose Ruhe. Damit ein Zeitgefühl überhaupt entsteht, müssen innere und äussere Welt immer wieder irgendwie miteinander abgeglichen werden, was aber in der Trance wegfällt. Diese hypnotische Zeitlosigkeit ermöglicht logischerweise, dass das Aushalten – die Zeit des Ausharrens, bis die erste, erwartete Veränderung eintritt – leichter durchzuhalten ist als im Wachzustand.

  • Ein weiteres zentrales Merkmal der Hypnose zeigt sich darin, dass wir in ihr immer ausschliesslich im Hier und Jetzt leben. In Hypnose gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft. Es existiert nur der Moment. Sogar wenn wir in eine Altersregression sinken, erleben wir letztlich die erinnerte, vergangene Situation real im Hier und Jetzt. Hypnose hat ebenso keinen Platz für Eventualitäten («könnte vielleicht sein, dass…»). Für das Aushalten in der Hypnose ist das Ausfallen des Zweifelns insofern von Bedeutung, als dass das Erleben des Standhaltens in der Trance nicht nur als Möglichkeit erlebt wird – die sich aber nur als Schein erweisen könnte – sondern sie ist real stattfindende, aktuelle Realität. Dies verleiht dem Tranceerlebnis eine ungleich «wirk-lichere» Kraft im Gegensatz zu einer nur gedachten Lösung.
  • Wie wir schon oben, im Zusammenhang mit dem Sich-Stellen, festhielten, erspart uns die Hypnose die gegenargumentierende Abwehr des Patienten. Auch während des Aushaltens könnte die Versuchung aufkeimen, sich wieder aus dem unliebsamen Erlebnis herauszuschleichen. Der einfachste Weg dazu würde darin bestehen, das Aushalten mit argumentativem Fragen und Zweifeln zu infizieren: «Werde ich nicht doch wieder scheitern? Bisher gelang es ja auch nie…». Weil in der Hypnose dieses kontraproduktive Spielen mit Eventualitäten durch konkretes Erleben ersetzt ist, bleibt einfach die Feststellung stehen: «Ich bin jetzt in einem unangenehmen Zustand, und so ist es, und ich bleibe drin.».
  • Für das Aushalten kommt uns auch die Trancelogik zugute. Zur Erinnerung: Diese Form von innerer Logik orientiert sich nicht an den Gesetzen der äusseren Welt, sondern an denen der Innenwelt, der Emotionen. Sie ist so gesehen Widersprüchen gegenüber sehr tolerant und uns aus dem Träumen bestens vertraut. Dort wirkt immer wieder irritierend, dass Unmögliches, Absurdes miteinander verbunden wird: Ein Eiffelturm steht mitten im Meer und wird immer grösser. Solcherlei Dinge gibt es nur im Traum – oder eben in der Hypnose. Wozu nun soll diese Trancelogik für das Aushalten gut sein? Dank ihr dürfen wir beispielsweise einen Patienten, der in Hypnose gerade in eine starke Emotion, Angst oder Wut geraten ist, mit Worten unterstützen wie «Ist prima, geben Sie sich in aller Ruhe ihrer Wut hin!», eine Aufforderung, die im normalen Wachzustand wohl seltsam rüberkäme und Fragen nach ihrer Logik aufwerfen würde…
  • Ich weiss, ich verpasse kaum eine Gelegenheit, immer wieder den «hidden observer»8 einzubringen. Er ist mir aber so unerlässlich wie ein alter Schulfreund. In jeder Arbeit mit Hypnose steht er uns mit seiner Hilfe diskret und oft sogar entscheidend zur Seite. Denn er zeichnet dafür verantwortlich, dass der Bezug zur aktuellen, äusseren Realität auch in ganz tiefen Trancen auf unbewusster Ebene unfehlbar gewahrt bleibt. Er späht gewissermassen durch die gezogenen Vorhänge der hypnotisch geschlossenen Augendeckel hindurch, ständig den umgebenden Raum und die Uhr im Blick, und steuert das Geschehen ganz still und unbemerkt mit. Für das Aushalten ist er insofern wichtig und hilfreich, als er auch in tiefen Regressionen das «unbewusste Bewusstsein» aufrechterhält, dass es sich hier und jetzt um eine therapeutische Sitzung handelt und somit nicht ein «eins zu eins» Wiedereinstürzen in die vergangene Realität stattfindet. Auch wenn das damalige Erleben möglicherweise mit einem völligen Verlust von Orientierung und Zeitwahrnehmung einherging – mit der Panik, dass der Horror kein Enden finden wird, bis an das Ende aller Zeiten– verspricht der «hidden observer» jetzt, im sicheren Sprechzimmer des Therapeuten, dass dem aktuell nicht mehr so ist: Jetzt gibt es ein Ende, und die Situation ist nicht mehr dieselbe. Diese Sicherheit, durch den «hidden observer» im Unbewussten sicher und aktiv aufbewahrt, ist eine entscheidende Unterstützung, um das Unerträgliche auszuhalten.

Praktisch

Als Therapeut darf uns das Bewusstsein nicht verloren gehen, dass der Patient bei Station eins schon bereit war, sich seiner Angst zu stellen. Deshalb ist es in aller Regel nicht schwierig, diese aufrechte Haltung zu erhalten, allerdings unter wenigen, aber bestimmten Bedingungen.

  • Wir müssen für den Patienten während der gesamten Zeit des Aushaltens in Hypnose genügend spürbar präsent bleiben, und unsere Präsenz muss entsprechend Ruhe und Zuversicht übertragen. Dies bedeutet meist, dass wir uns zwischendurch immer wieder ein bisschen hörbar machen müssen, etwa mit einem ganz kurzen Einwurf wie: «…prima, nehmen Sie sich Zeit…», oder «…auch wenn ich jetzt schweige… ich bin die ganze Zeit hier…». Letzterer Satz frischt das Gefühl des Aufgehoben-Seins immer wieder auf. Entscheidend ist, dass im Patienten die Kontinuität des «Rapports» bzw. des Gefühls von Schutz – sprich: der «Brutkasten» – erhalten bleibt.
  • Von grösster Wichtigkeit ist auch, dass letztlich der Patient das Geschehen selber steuert. Zum zentralen Gefühl der Selbstwirksamkeit gehört, dass er sich als Herr in seinem Haus und über das Geschehen fühlen kann – auch wenn im Aushalten noch nichts Spürbares geschieht. Um dies zu unterstützen, hilft typischerweise eine Intervention in der Art der ganz einfachen Frage: «Sind Sie immer noch einverstanden, diese Emotion weiter auszuhalten?». Gegebenenfalls können wir sie mit dem Zusatz ergänzen: «Oder wollen Sie lieber wieder in den normalen Wachzustand zurückkommen?». Besonders wenn die Emotionen, die ausgehalten werden sollen, sehr schwierig sind, fühlt sich der Patient unterstützt und verstanden. Er übernimmt aber auch implizit die Verantwortung für das weitere Aushalten – eine weitere Ich-Stärkung. Gleichzeitig vergewissern wir uns, dass wir ihn nicht überfordern. In meiner Erfahrung entscheiden sich praktisch alle Patienten für das weitere Aushalten. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die Tatsache, dass er sich vorher in das Abenteuer «Sich-Stellen» eingelassen hat, ein Zeichen des Vertrauens in die Therapie war.

3. NEUGIERIG WERDEN

Mit «Aushalten» kann nicht gemeint sein, dass nur standhaft und verbissen abgewartet werden muss, dass die Zeit von alleine alles verändert und regelt. Ebenso wenig, dass wir uns selber beweisen müssen, wie ausdauernd wir sein können. Aus dem Aushalten heraus muss sich im Innern Bewegung regen, in Form einer konkreten, wenn auch unbewussten Suche nach einem zweckmässigeren Umgang mit den plagenden Emotionen. Wird dieser Antrieb bewusst, so heisst er Neugier. Erst diese macht den Weg frei für das erlösende Gestalten9. Kommt Neugier, kommt endlich Bewegung.

Wir stellen fest, dass Aushalten und Sich-Stellen zusammen eine «Zauberwirkung» zeigen: Die Beruhigung, die sie gebracht haben, löst automatisch und animalisch den «seeking mode» aus. Neugier ist «seeking mode» in Reinkultur. 

Trotzdem ist je nach dem Unterstützung von Seiten des Therapeuten gefragt. In ihrem Dasein nämlich als Patienten haben Menschen mehr oder weniger jegliche lebendige Neugier für ihre eigene Person verloren. Angst, Depression, Somatisierung, Zwänge, posttraumatische Symptome usw. sind beileibe nicht Ausdruck von Neugier und Offenheit für sich selber. Ihre kapitulierende Haltung vom Typ «So bin ich eben (leider)…» lässt keinen Raum für Entwürfe neuer Lösungen. Und genau diese wären gefragt. Es gilt also, die aufkeimende Neugier, die im «seeking mode» entsteht, sorgfältig zu pflegen und zu unterstützen, und sie möglichst auf die noch unerkannten Potentiale zu richten.

Die Haltung des Therapeuten muss eine authentische, teilnehmende und behutsame Neugier sein. Seine therapeutische Neugier muss sich darin zeigen, dass Therapeut und Patient ein interessiertes Tandem bilden, das miteinander gespannt beobachtet, was sich im Unbewussten des Patienten bewegt. Und nicht nur dies: Die Neugier wird sich auch auf die Interaktionen innerhalb des Tandems richten können, dort wo sich die beiden Unbewussten begegnen. Es wird aufschlussreich sein, das Augenmerk auf die Wechselwirkungen zu richten, also darauf, welche unbewusste Reaktion des Einen welche Reaktion des Anderen bewirkt. Der Therapeut ist mit seiner Neugier also auch auf seine eigenen Reaktionen gespannt, aber nur insofern sich diese als lebendige Spiegel von seelischen Vorgängen im Patienten verstehen lassen. Die Neugier des Therapeuten bewegt sich auf Augenhöhe mit der des Patienten. Dabei darf sie keinesfalls forscher werden als die des Patienten, sonst läuft sie Gefahr, das Gegenteil zu bewirken und die Neugier des Patienten zu ersticken. Sie soll ganz im Sinn der konsequenten, interaktiven und explorativen Haltung des Therapeuten10 durch gemeinsame Nähe und Neugier den therapeutischen Prozess beleben.

Auf welches konkrete Resultat die unbewusste Suche hinausläuft, bleibt letztlich offen. Es ist schlicht unmöglich, mit rationalen Mitteln vorausplanen oder voraussagen zu wollen, was das Ergebnis der Arbeit eines Unbewussten sein wird: Es wäre sonst kein unbewusster Vorgang. Es bleibt nichts Anderes übrig, als es neugierig auf uns zukommen zu lassen.



…und die Rolle der Hypnose

  • Neben den bisher erwähnten Aspekten der Hypnose – die sinngemäss auch für die Neugier gelten – sei noch eine Eigenheit der Hypnose im Zusammenhang mit der Neugier besonders erwähnt. Die Hypnose erlaubt einen merkwürdigen, paradoxen Umgang mit den Emotionen: In der Trance sind wir gleichzeitig in der Emotion drin – erleben sie also assoziiert als unsere Realität und reagieren auch körperlich und vegetativ entsprechend – und parallel dazu sind wir im selben Augenblick Betrachter unserer eigenen inneren Realität – sind von ihr also wie abgespalten, dissoziiert. In der Trance hat sich gewissermassen ein betrachtendes «Auge» vom Gesamterlebnis herausgelöst und erlaubt, unsere emotionalen Reaktionen mit Gelassenheit und Neugier zu betrachten. Wäre dem nicht so, und wäre also in uns nur Emotion da, könnten wir keine Neugier über sie entwickeln. Dieses Doppelleben in der hypnotischen Trance ist also die Basis für eine «live»- Neugier während einer schwierigen Emotion.
  • Der Prozess, der durch das Amalgam von Aushalten und Neugier zustande kommt, kann auch als Neustart eines noch nicht vollendeten, seelischen Verdauungsprozesses11 gesehen werden, der jetzt in Gang kommt. Zur Erinnerung: Emotionale Erlebnisse müssen als seelische Nahrung wie die physische Nahrung «verdaut» (besser als «verarbeitet»!) werden. Das Unbewusste zerlegt sie zu diesem Zweck quasi «enzymatisch» in elementare Einzelaspekte. Danach filtert sie die «seelische Darmwand» im Unbewussten entsprechend ihrer Sinnhaftigkeit oder ihrer Sinnlosigkeit. Konstruktive Aspekte werden integriert, destruktive müssen über «seelischen Stuhlgang» losgelassen werden. Dieser seelische Verdauungsvorgang findet aber nur dann statt, wenn grösstmögliche innere Ruhe besteht. Wir kennen dies nicht nur vom Schlaf («darüber schlafen»), sondern auch von der Hypnose.

Zuerst sich stellen, dann aushalten und dann neugierig werden: Eine Reihenfolge von Haltungen, die wie selbstverständlich daherkommt. Wird sie aber in einer Therapie nicht streng eingehalten, fordert sie ihr Recht erbarmungslos und unnachgiebig ein. Versuchen wir als Therapeuten beispielsweise einen Patienten für eine Emotion neugierig zu machen, der er noch nicht bereit ist sich zu stellen kann oder die er nicht aushalten würde, so werden wir einem erbitterten Widerstand begegnen. Der Patient wird schon vor der Hypnose zurückschrecken, oder er wird die Augen plötzlich wieder aufreissen und aus ihr herausschrecken. Meist ist der Preis für die Nichtbeachtung dieser Reihenfolge ein gewisser, mindestens momentaner Verlust an Vertrauen in die Therapie. Dieser kann zwar bei geeigneter Vorgehensweise wieder wettgemacht werden, aber kostet einen im Grunde unnötigen Umweg.

Epilog

Neugier im Tandem – wir sahen es soeben ¬– heisst die Losung für die Hypnosetherapie. Aber wie ist es mit dem Sich-Stellen und mit dem Aushalten? Auch im Tandem?

Gewiss! Ohne dies kommt die notwendige, schützende Nähe nie in vollem Ausmass zustande. Wir sind als Therapeuten also aufgefordert und sollten auch in der Lage sein, uns den Themen unserer Patienten selber zu stellen und sie aushalten zu können. Oft ist dies mit wenig Problemen verbunden, insbesondere wenn sich die Themen des Patienten für den Therapeuten in einem sicheren emotionalen Abstand abspielen.

Was aber, wenn der Patient ein Problem anspricht, das sich auch für den Therapeuten als heikel erweist? Welche Folgen bringt es mit sich, wenn der Therapeut davor zurückschreckt, sich einem eigenen Problem zu stellen, das ihm im Spiegel des Patienten vorgehalten wird? Was geschieht, wenn das Aushalten des Therapeuten ins Wanken gerät und somit auch seine Möglichkeit zu schützen wacklig wird? Was wenn der Therapeut gar nicht merkt, dass das Thema für ihn heikel ist, und es einfach umschifft? Die Therapie ist deshalb nicht zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Aber naturgemäss wird für den Patienten das Gefühl von Schutz und die therapeutische Nähe zunächst darunter leiden, und wenn es dabei bleibt, zeigt dies eine Grenze der Möglichkeiten dieser Therapie auf. Wenn sich aber der Therapeut dieser Grenze nicht verschliesst, sondern als Gestalter12 reagiert lässt sich für Beide ein Gewinn erzielen. Dafür bieten sich verschiedene Möglichkeiten an:

  • Das Problem des Patienten lässt sich vielleicht zunächst im Gespräch einfacher angehen. Dies schafft für beide eine gewisse Distanz zu den Gefühlen und ermöglicht es, manche Dinge besser einzuordnen. Der Patient kann seine Emotionen etwas deeskaliert formulieren – und so wirkt er weniger bedrohlich auf den Therapeuten. Gleichzeitig gibt es letzterem die Möglichkeit, seine aufrechte therapeutische Haltung zu wahren und nicht in eine «folie à deux» abzurutschen. Er gönnt sich so auch etwas Zeit um abzuschätzen, ob er sich unter diesen spezifischen Bedingungen vielleicht doch nicht bereit fühlen könnte, sich zu stellen.
  • Eine zweite Möglichkeit: Thema wechseln (sicher nicht unbedingt die unmittelbar fruchtbarste Lösung… es sei denn, der Therapeut denkt über sich nach und wird sich seines problematischen Themas noch bewusster, so dass er sich ernsthaft für eine Supervision oder für eine Runde Selbsterfahrung motiviert).

- Eine weitere Option besteht darin, dem Patienten vorzuschlagen, in Trance zu gehen und ihm dann suggestiv allgemeine, Ich-stärkende Bilder anzubieten (Krafttiere, sichere Orte etc.) – die er dann am besten gleichzeitig auch auf sich selbst anwendet. In diesem parallelen «Brutkasten» kann er dann von seiner Arbeit mit dem Patienten für sich selber profitieren, woraus möglicherweise indirekt auch für den Patienten ein Gewinn entstehen kann.

So kann das Arbeiten mit dem Thema «Sich stellen – Aushalten – Neugierig werden» auch dem Therapeuten neue Möglichkeiten öffnen, für sich selber noch nicht beschrittene Wege als Mensch und Therapeut zu entdecken.



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1 …eine Trias wie schon einmal: s. Text «Opfer, Täter und Gestalter… und die Rolle der Hypnose»

2 Eine mögliche Erklärung für eine solch unproduktive Fixierung auf das «Positive» liefern uns vielleicht Konrad Lorenz und seine Gans Martina: Was uns Tiere grundsätzlich am unauslöschlichsten prägt, ist die allererste Begegnung. Alle späteren, ergänzenden Erfahrungen haben es viel schwerer, Einfluss zu gewinnen. In unserem Fall sind die ersten Begegnungen mit der Hypnose meist die Grundkurse. In diesen lernen wir in aller Regel zunächst ausschliesslich positive Suggestionen, Bilder und Erlebnisse kennen: Suggestionen von Entspannung, von innerem Frieden und Geborgenheit, Bilder von wunderbaren Krafttieren, positiver Energie in allen Regenbogenfarben, dies alles im Verborgenen schlummernd in einer wundersamen Schatzkammer genannt Unbewusstes. Gegen einen solchen Einstieg in die Hypnosewelt gibt es nichts einzuwenden: Es hinterlässt wohltuende Spuren und motiviert. Wer sich aber mit diesen Erlebnissen zufriedengibt und hier stehenbleibt, nicht weitersucht, verpasst den ganzen Rest des Potentials.

3 s.a. Text 29, «Die Metapher des Brutkastens»

4 Eine meiner Töchter hatte sich als Mädchen ein solches Mantra gefunden, um den Gang ins kalte Meerwasser zu wagen: Ein laut deklamiertes: «M.*, du bist mutig, eins, zwei, drei»… und drinnen war sie. (*Vorname der Red. bekannt)

5 Bewusst rede ich hier nicht von «sich konfrontieren». Zu stark trägt für mich dieser Ausdruck («Stirn gegen Stirn») die Konnotation einer Kampfhaltung: Kampf gegen eine Emotion, Kampf gegen einen Fehler, Kampf gegen einen Mangel. Therapeuten, die ihre Patienten mit ihren Gefühlen «konfrontieren» wollen, ernten deshalb häufig nur einen Machtkampf, der sich schliesslich gegen die Therapie richtet. Dies zieht unnötig Energie von der eigentlichen Arbeit ab

6 Die englische Sprache kennt für das Sich-Stellen ein anderes, aber ebenso plastisches Bild: «to face a problem», dem Problem mit dem eigenen Gesicht ins Gesicht schauen. Zudem bietet diese Wendung die Möglichkeit, darin eine faszinierende, implizite Idee zu lesen: Der Mensch, der einem Problem sein «face», also sein Gesicht zeigt und entgegenstellt, kann letztlich in diesem Problem auch das eigene Gesicht, wie in einem Spiegel, erkennen.

7 s. Text 15 «Was ist Hypnose?»

8 s. z.B. Text 33, «Den Film wieder vollständig machen»

9 s.a. Text 35 «Opfer, Täter und Gestalter… und die Rolle der Hypnose»

10 s. Texte 1-5, 21 «Explorer»

11 s. Texte 24 und 25 «Die Verdauungsmetapher»

12 s. Text Nr. 35 «Opfer, Täter, Gestalter, Hypnose»