Texte zur Hypnosetherapie




Dr.med. J. Philip Zindel


Eine Baustelle für's Leben ...

Beiträge zu Theorie und Praxis der Hypnosetherapie

für medizinische und therapeutische Fachpersonen


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Wie versprochen nehme ich Sie wieder mit in meine Meditationen im Reitsattel: eine weitere Parallele zwischen meiner Arbeit mit dem Pferd und der mit meinen Patienten. Weiterhin viel Spass bei  der Lektüre!


Prinzipien 4Der PatientenflüstererText 40

Der Patientenflüsterer Teil 2

Im vorherigen Text zeichneten wir erste Analogien zwischen dem Reiten und der Hypnosetherapie: Wie wir als Therapeuten auf einem riesigen, animalischen und ungleich viel stärkeren Wesen «reiten» – dem Unbewussten des Patienten – und weshalb wir lernen müssen, nicht Kraft, sondern Köpfchen einzusetzen. Und wie es auch gleichzeitig unsere Aufgabe ist, dieses Unbewusste in Bewegung zu versetzen und es dann kontinuierlich in Schwung zu halten. Nun folgt meine nächste «reiterliche» Einsicht zur Hypnose, die ihre Wurzeln schon in den Zeiten meiner Anfänge als Reiter findet. 

Dritte Einsicht: Fremdsprachen lernen… und erfinden

„Bitte, mein geliebtes Pferd, es würde mich unendlich freuen, wenn du jetzt unter mir eine Reihe schöner, fliegender Galoppwechsel1  vollführen könntest.“ Dass mein Pferd es dann tut, davon mag ich vielleicht für mich träumen – denn wer einmal dieses Gefühl des Schwebens und der vollkommenen Harmonie mit dem Pferd erlebt hat oder sich vorstellen kann, weiss, dass es nichts Vergleichbares gibt. Doch muss man kein erfahrener Reiter sein, um zu erkennen, wie absurd es ist, ein solches Anliegen – selbst so erlesen formuliert – einem Pferd verbal einflüstern zu wollen. Niemals wird es darauf eingehen. Da ist kein böser Wille und auch keine Opposition im Spiel, sondern ganz elementar: Sein Pferdehirn versteht meine Menschensprache nicht. Um die Idee eines Galoppwechsels zu kommunizieren gehört eine andere, eine gemeinsame Sprache her. Reiten lernen heisst weitgehend, eine solche Sprache zu erwerben.

Meine erste Reitstunde als Kind verlief in etwa so: Kaum erfolgreich in den Sattel hochgehievt, wurde ich angewiesen, meine Oberschenkel an das Pferd zu drücken, damit es sich in Bewegung setze. «Beine zusammendrücken» bedeutete offenbar «Ich möchte, dass du vorwärts gehst». Klang für mich nicht schwer verständlich, und ich tat mein Bestes, nur – es passierte überhaupt nichts. Völlig unberührt stand das Pferd bockstill. «Fester, Junge, fester!» kam es vom Reitlehrer, und ich presste meine Beine mit doppelter Kraft an seinen Rumpf – ohne Erfolg. Er wurde lauter: «Mit den Fersen klopfen!!» Ich klopfte mit den Fersen, steigerte die Drehzahl bis zum Trommeln, was mir aber nur einbrachte, akustisch die Resonanzkastenwirkung eines Pferdethorax festzustellen. Erst die vom Reitlehrer drohend erhobene Peitsche versetzte mein Pferd in eine zögerliche und auch nur zeitweilige Vorwärtsbewegung. Soviel hatte ich zur Natürlichkeit der «Mensch-Bein-Pferd-Sprache» gelernt. Auch sie war offensichtlich der menschlichen Sprache nicht sattelfest überlegen... Ganz entsprechend fraglich wirksam erwies sich die «Mensch-Zügel-Pferd-Sprache», als ich meinen ersten Ausritt in der Natur erlebte und mein Pferd ob dem Zwitschern eines Vogels erschrak. Der kommunikative Wert meiner Zügelaktionen liess sehr zu wünschen übrig, und mir ging es nur noch ums Überleben im Sattel…


In diesem Zusammenhang fällt mir eine Parallele zu meinen allerersten Hypnoseversuchen ein. Wir waren eine neugierige Gruppe aus einer Studenten-WG, die sich in den Kopf gesetzt hatte, einmal in die ominöse Hypnose hineinzuschauen und es an uns selber auszuprobieren. Einer von ihnen hatte antiquarisch eine Anleitung aus einem Fernkurs irgendeines grossen Hypnosemeisters aus Bayern ergattert. Wir befolgten die Instruktionen wortgetreu: Tief und eindringlich dem Anderen in die Augen schauen, mit unbeirrbar überzeugter, tiefer, langsamer Stimme kraftvoll, anschaulich und punktgenau formulierte Suggestionen eines tiefen Schlafs beschwörend wiederholen, und nochmals wiederholen, bis der gewünschte Effekt eintrat. Was aber das Unerlässlichste war: Sich als Hypnotiseur selber das Gesagte mit aller Intensität und unerschütterlicher Überzeugung vorstellen, nicht den geringsten zweifelnden Gedanken zulassen, damit sich die Ideenübertragung auf diese Art verbal transportiert barrierefrei vollziehen konnte. Mit vollstem Ernst setzten wir uns hinter diese brisante Aufgabe, und jedes Mal dasselbe Resultat: Ein homerisches Gelächter! Das war offenbar für uns nicht die richtige hypnotische Sprache … und fürs erste legte ich die Hypnose auf Eis.


Zurück zu meinen Reiterfahrungen. Es konnte doch nicht sein, dass die Reitgrammatik lediglich aus Peitsche und Gerte bestand? Waren die «Wörter», die mir der Reitlehrer vermittelte, etwa falsche Codes? Oder verstand ich etwas Grundlegendes nicht richtig? An sich war ich mit Fremdsprachen vertraut, aber ich war mich deutlich Einfacheres gewohnt: Lateinisch hiess «rosa, rosae, fem.» auf Deutsch immer und für Alle «die Rose», «equus» stand für «das Pferd», und es funktionierte.

Mit den Jahren lernte ich natürlich zu unterscheiden, wann der Fehler bei mir lag, wann das Pferd einfach noch nicht verstand, oder ob es schlecht gelaunt oder unmotiviert war. Wenn ich widersprüchliche Hilfen2 gab, beispielsweise unkoordiniert vorwärtstrieb und gleichzeitig bremste, war es relativ einfach: Man konnte achtsam darauf sein und umlernen, um kongruent zu werden. Aus einem unmotivierten, schlecht gelaunten Pferd war meist wenig herauszuholen und die beste Lösung bestand in der Regel aus einem gelassenen, vorübergehenden Abschied-Nehmen.


Erneut fallen Parallelen mit der Hypnose auf. Als ich nämlich später, mit Beginn meiner beruflichen Tätigkeit, begann, mich mit der therapeutischen Hypnose ernsthafter zu beschäftigen, wurde mir von Anfang an klar, dass die hypnotische «Peitsche» – ein autoritatives Auftreten – für mich als Kommunikationsbasis keine Option war, auch wenn sie damals in der medizinischen Hypnosewelt noch Anhänger fand. Aber auch der normale Sprachumgang auf Augenhöhe war für die Hypnose nicht geeignet. Das Übersetzen dessen, was ich sagen wollte, in eine hypnotische Sprache, bzw. in eine hypnotisch wirksame Sprache, erwies sich als herausfordernd.

Auch hier waren es die Jahre und die Erfahrung, die mir weiterhalfen. Mit der Zeit erkannte ich besser, wo ich inkongruent war, bzw. widersprüchliche «Hilfen» gab. Aufgeregte Patienten, die ich mit Hypnose beruhigen wollte, reagierten oftmals nicht, wenn ich versuchte, mit blumigem Wortreichtum ihnen das wohlige Gefühl einer tiefen Entspannung schmackhaft zu machen. In meiner Selbstbeobachtung stellte ich fest, dass ich dann selbst meinen eigenen Künsten und dem Ausgang der Hypnose nicht traute und entsprechend unsicher auftrat. Was ich sagte und meine Ausstrahlung widersprachen sich und waren somit widersprüchliche «Hilfen».

Übrigens fallen auch die berühmten Negativformulierungen in diesen Bereich: Eine Formulierung wie «Sie haben keine Angst» drückt zwar die legitime Absicht aus, die Angst zum Verschwinden zu bringen, suggeriert aber gleichzeitig das gegenteilige Bild der Angst.

Was den Umgang mit unmotivierten bzw. «schlecht gelaunten», störrischen Patienten betrifft, fand ich im Laufe der Zeit heraus, dass es solche gibt, die sich nach einer vorbereitenden Beziehungsarbeit motivieren lassen. Andere hingegen verabschiedeten sich von selbst, oder – ganz selten – musste ich mich von ihnen trennen, weil wir keine Sprache fanden.

Eine «Sprache» mit dem Pferd ist also nicht einfach gegeben wie das Latein, wo es ausreicht, brav Wörter und Grammatikregeln auswendig zu lernen. Es handelt sich um ein viel komplexeres Zusammenspiel, etwas, das wir gemeinsam entwickeln müssen. Zwar gibt es «Standardsprachen», die sich voneinander unterscheiden – was ich als Kind in Frankreich als Reitsprache gelernt hatte, war später in Schweizer Reitschulen nur noch beschränkt erfolgreich – doch diese müssen in jedem einzelnen Fall mit jedem Pferd individuell angepasst werden. Einige Prinzipien bleiben bestehen, aber die Details werden anders.

Wiederum ähnlich verhält es sich mit den unterschiedlichen Standardsprachen in der Hypnose. Meine erste und somit meine «hypnotische Muttersprache» war die klassische Hypnose: eine Sprache, die sich durch einen gemessenen, tiefstimmigen Sprachduktus, durch das Formulieren klarer, kurzer, quasi formelhafter und einprägsamer, direkter Suggestionen auszeichnet. Diese übermittelt sie in monoton wiederholender Art, möglichst wenige Ideen aufs Mal vorschlagend, um eine gewisse Einschläferung und eine Konzentrierung der Gedanken zu bewirken. Dies war die Sprache, die ich vor dem Sonnenaufgang der Erickson’schen Hypnose praktizierte – durchaus mit hinreichendem Erfolg.

Dann setzte etwa in den 1980er Jahren in Europa die Ära dieser neuen Hypnosesprache ein, die sich auf Milton Erickson bezog. Sie versprach einen viel entspannteren Umgang mit der Hypnose, setzte auf indirekte Suggestionen aller Art, kombiniert mit überraschender Kreativität und Verwirrungstaktiken. Das war eine Sprache, die mir viel mehr Spass bereitete, auch viel mehr Freiheit verhiess. Als Schattenseite hielt sie mich immer in einem gewissen Druck zur Kreativität gefangen: Kreativ sein auf Kommando ist nicht mein Ding, weshalb vielleicht mir diese Kommunikationsform nicht umwerfend bessere Resultate einbrachte. Ich hatte meine ideale hypnotische Sprache noch nicht gefunden, doch mit der Zeit wurde es wirklich spannend.


Auch das Reiten wurde für mich immer spannender, insbesondere einige Jahre später, als ich mein eigenes Pferd besass. Ich hatte sogar das unglaubliche Glück, es als Fohlen zureiten zu können. Plötzlich war alles sehr viel einfacher. Nicht nur entfielen die ständigen Partnerwechsel von Reitstunde zu Reitstunde, so dass wir einen Aufbau angehen konnten. Uns verband auch eine ganz andere Beziehung. Es bestand eine aussergewöhnliche Nähe und ein natürliches, gegenseitiges Zugewandt-Sein. Wir reagierten aufeinander, hatten Freude am gemeinsamen Lernen – es waren genussreiche Momente für Beide, wie beim Tanzen. In dieser Stimmung liess sich eine wirksame, gemeinsame, eigene Sprache mühelos finden.

Besonderen Spass bereitete mir beim Zureiten meines Pferdes ein Spleen: von Anfang an die Dressur nur mit durchhängenden Zügeln zu praktizieren, mit anderen Worten ausschliesslich mit dem Einsatz von Schenkel- und Gewichtshilfen. Ich hatte das tiefe Gefühl, dass dies meinem Pferd ein noch grösseres Gefühl von Freiheit vermittelte und somit auch mehr Vertrauen und Intimität schuf. Selbst wenn diese Reitart nicht «klassisch» war, erlebten wir zusammen wunderbare Zeiten, deren sichtbares Resultat sich auch zeigen liess. Diese Reitart hatte sich völlig von Ideen von Befehlen oder vom Pauken verabschiedet. Sie wurde zu einem gemeinsamen Explorieren: Wie reagiert mein Pferd, wenn ich ihm diese oder jene Hilfe gebe, und wie reagiere ich auf seine Reaktion? Was können wir damit gemeinsam wie erreichen? Das war für Beide viel spannender, als stures «Üben, üben, üben!» – und mein Pferd freute sich, wenn ich den Stall betrat.


Auf parallele Weise entwickelte sich auch meine Arbeit mit meinen Patienten. Je mehr ich Vertrauen in die Hypnose gewann und je wohler ich mich im Umgang und in der Beziehung mit Patienten fühlte, desto einfacher und natürlicher wurde das Finden einer gemeinsamen, individuellen Sprache. Es wurde immer einfacher, ein gegenseitiges Zugewandt-Sein herzustellen. Selbst bei der Arbeit an schwierigen und finstern Themen drang eine Art feine Lust am Entdecken durch, wie wir uns gegenseitig verständlich machen konnten. Diese Sprache nenne ich das konsequente, interaktive Explorieren (s. Texte 2-5, 21 Explorer).


Anmerkung: Menschen, die sich grundsätzlich an ihre eigene Muttersprache klammern müssen – aus Angst vor Versagen oder vor Herabwürdigung – sollten sich überlegen, ob Reiten oder Hypnose für sie geeignet sind, und umgekehrt…




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1 Der Galopp ist eine asymmetrische Gangart. Entsprechend gibt es einen Links- und einen Rechtsgalopp. Je nach dem greift das Pferd bei jedem Sprung mit dem linken Fuss (Vorderbein) oder mit dem rechten weiter vor als mit dem anderen. Bei einem Richtungswechsel wechselt das Pferd natürlicherweise den Fuss, auf welchem es galoppiert. Beim fliegenden Galoppwechsel, einer Figur der hohen Schule, wechselt es auf Anregung des Reiters den Fuss auf einer geraden Strecke, je nach dem sogar bei jedem Sprung im Takt.

2 Unter «Hilfen» versteht die Reitersprache die Einwirkungsmöglichkeiten des Reiters auf das Pferd, hauptsächlich über Bein- und Schenkelaktivität, über Zügelsignale oder über Gewichtsverlagerungen im Sattel. Unterschiedliche Kombinationen bedeuten unterschiedliche Signale.