Texte zur Hypnosetherapie




Dr.med. J. Philip Zindel


Eine Baustelle für's Leben ...

Beiträge zu Theorie und Praxis der Hypnosetherapie

für medizinische und therapeutische Fachpersonen


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Heute geht es wieder einmal um eine "Technik", etwas ganz praktisch Anwendbares. Die "Echotrance" kann am Ende einer Sitzung sehr hilfreich werden. Viel Spass beim Lesen!


Techniken 11Die "Echotrance"
Text 42

Die «Echotrance» Echotrance 


1. Ausgangslage

Dass Therapiesitzungen zeitlich überzogen werden, ist nicht ungewöhnlich. Dafür kann es mannigfaltige Gründe geben – ein Thema für sich. Daneben enden aber manche auch vorzeitig, beispielsweise wenn fünf Minuten vor Ende der vorgesehenen Zeit eine elegante oder eindrückliche Abrundung der Sitzung gefunden wurde, ein gelungenes Schlusswort, ein Aha-Erlebnis, eine prägnante Frage für das nächste Mal, eine erreichte Einsicht oder sonst etwas, was man sich so zum Schluss einer Sitzung gerne wünscht. Dann bleiben aber noch die restlichen fünf Minuten. Was tun mit diesem brach gebliebenen Rest der Sitzung? 

Erste grundsätzliche Möglichkeit: Das Erlebte besprechen und vertiefen, indem man gemeinsam verschiedene Aspekte des gewonnenen Erlebnisses oder Bildes herausschält, analysiert, diskutiert und beginnt einzuordnen – allerdings mit verschiedenen Risiken. 

Hierzu vier Beispiele:

a) An sich halte ich sehr viel vom menschlichen Intellekt, aber nicht allzu viel, wenn es um seine aufbauende Wirkung in seelischen Belangen gehen soll. Intellekt und Seele funktionieren – gerade bei Patienten – häufig aneinander vorbei, wobei Ersterer, von sich selber eingenommen, dazu neigt, etwas grob die Szene beherrschen zu wollen, und sich die Zweite dann gelangweilt oder unverstanden, frustriert zurückzieht1.

b) Wenn wir über eine erfolgreiche, gemeinsame Aktion diskutieren, ist es nur menschlich, dass es uns gerne in Richtung eines gegenseitigen – expliziten oder impliziten – Beglückwünschens führt. Nichts gegen schöne Gefühle und aufbauende Motivierungsgespräche, aber Euphorie macht das kritische Auge blind und lädt zu gefährlichen Überbewertungen des momentanen Ergebnisses ein. Diese werden dann gerne als solche übersehen und führen früher oder später zu Enttäuschungen.

c) Nicht selten geben Therapeuten einem wohlgemeinten Bedürfnis nach, in der Sitzung aus einem Erfolg noch «etwas machen» zu wollen, damit sich dieser auch maximal lohne: Vorschläge für tägliche Übungen, Erinnerungshilfen oder dergleichen. Natürlich macht Übung den Meister, auch in der Psychotherapie. Aber hinter dieser «Pädagogik» versteckt sich ein voreiliger Zweifel an der intrinsischen Wirkung des therapeutischen Highlights. Ginge es nicht auch ohne?

d) Besonders schlimm wird es, wenn ein Therapeut seinem Verlangen nachgibt, sein professionelles Wissen einzubringen, um die Situation gelehrt zu kommentieren, sie zu erklären oder zu deuten. Damit schmälert er aber nur die emotionale Wirkkraft des Erlebnisses und erweckt den Eindruck, als müsse auch er sich noch profilieren, und stiehlt damit dem Patienten ein Stück der «Show».


Zweite grundsätzliche Möglichkeit: Ein neues Thema anschneiden? Keine gute Idee. Denn es würde den Zauber des Moments mit grösster Wahrscheinlichkeit verblassen lassen. Ausserdem hiesse es auch «Bahn frei für ein Überziehen der Zeit»: Es lässt nämlich sich kaum ein therapeutisches Thema finden, das sich sinnvoll in fünf Minuten abhandeln lässt. Will man auf der vereinbarten Zeit bestehen – was eigentlich wichtig ist – so wird der Versuch riskant. Der doppelte Frust darüber, dass dem Highlight die gebührende Beachtung verweigert wird und dass etwas angerissen wurde und nicht vertieft werden konnte, ist so gut wie vorprogrammiert.


Dritte grundsätzliche Möglichkeit: Soll man sich nach einem solchen Erfolg nicht lieber die Hände reiben, die Sitzung vorzeitig abbrechen und sich dann wie gewohnt verabschieden? Man stände dann aber vor der Frage des nicht Einhaltens einer geplanten und gegenseitig vereinbarten Zeit und der impliziten Bedeutung eines solchen Abschieds2. Das Abbrechen einer anders geplanten Sitzung schenkt einem Ereignis in der Therapie einen besonderen Wert und eine Aufmerksamkeit, von der wir nicht mit Bestimmtheit wissen, ob sie ihm auch wirklich zusteht.

Keine dieser Varianten befriedigt wirklich, und doch braucht es für diese letzten Minuten der Sitzung einen Ausweg. Wie fast immer heisst die Lösung – Sie haben es erraten – etwas mit H… 3

2. Die «Echotrance»: das Rezept

Es gibt fast keine Hypnose, die einfacher durchzuführen ist als eine «Echotrance». Nur daran denken, wenn sie sich anbietet.

Wenn wenige Minuten vor Ende der Sitzung auf irgendwelche Weise ein spannender Schluss zustande gekommen ist, bestätigen Sie dem Patienten, dass dies jetzt eigentlich einen guten Abschluss für diese Sitzung darstellen könnte. Fragen Sie ihn aber, ob er einverstanden sei, für die letzten Minuten der Sitzung die Augen doch nochmals kurz zu schliessen. Es ist mir übrigens noch nie passiert, dass jemand dies verweigert hätte – der Patient ist ja auch nicht in Verweigerungsstimmung.

Sobald der Patient die Augen geschlossen hat, biete ich ihm eine nur skizzierte Hypnoseinduktion an. Ich frage ihn beispielsweise nur, ob er sich zuerst noch etwas bequemer im Sessel einrichten mag, eventuell noch einmal kurz durchatmen möchte, und dann ermuntere ich ihn, einfach neugierig zu sein, was spontan als Echo der eben vergangenen Sitzung aufsteigt, ganz egal was kommt.

Wichtig ist, gleich eingangs zu betonen, dass es in keiner Weise darum geht, in irgendeiner Form die Sitzung zusammenfassen zu wollen oder ein Protokoll der Erlebnisse zu konstruieren. Wir beabsichtigen nicht einmal, in der Hypnose eine Sammlung von Erinnerungen zu erstellen. Im Gegenteil, der Patient soll sich möglichst leer machen, nichts erwarten, bzw. in eine auf nichts gerichtete Erwartung sinken. Möglicherweise kommen einzelne Wörter oder gar nur Wortfetzen hoch, oder Bilder, oder Körpergefühle – oder auch gar nichts. Vielleicht ist ja der Patient einfach nur müde – eine wohlverdiente Müdigkeit – und fällt in einen leichten Kurzschlaf. Manchmal kommt auch eine ganz neue Assoziation auf, oder ein weiterführendes Bild zu dem, was eigentlich das Highlight war. Was auch immer kommt oder nicht kommt, der Patient soll einfach neugierig sein, und diese fünf Minuten geniessen. Abschliessend künden wir an, dass wir uns dann wieder melden werden, wenn die Zeit vorbei ist, aber dass der Patient selbstverständlich schon vorher wieder zurückkommen darf, und dann schweigen wir. 

Vielleicht hat die «Echotrance» nur drei oder vier Minuten gedauert (immerhin hätte man in dieser Zeit um die zweihundert Sekunden zählen können), aber die Trance, in der ja das Zeitgefühl sich auflöst, bietet die Möglichkeit, viel mehr zu erleben als der Wachzustand. Wenn schliesslich auf der Uhr die Stunde zu Ende ist, bitten wir den Patienten, einen guten Abschluss seiner «Echotrance» zu finden und wieder ganz auf seine Art und Weise in den normalen Wachzustand zurückzukehren. Dann verabschieden wir uns von ihm in gewohnter Weise, bis zum nächsten Mal, und der Patient nimmt sein Geheimnis mit.

3. Bedeutung und Wirkung der «Echotrance»

Es sprechen viele Gründe für die «Echotrance»:

  • Wie wir schon sahen, bietet die «Echotrance» zunächst eine einfache, elegante Lösung für die kleine Verlegenheit bei vorzeitig eigentlich inhaltlich beendeter Sitzung. Dank ihr kommt der Patient in jedem Fall «auf seine Rechnung».
  • Häufig melden Patienten nach einer «Echotrance» zurück, dass sie es einfach genossen haben, die Möglichkeit gehabt zu haben, das Erlebte sich setzen zu lassen. Vielleicht ist in diesen Minuten nicht viel geschehen, aber es tat nur wohl. Solchen Bemerkungen messe ich einen grossen Wert bei, denn sie bedeuten, dass eine kleine psychische Verdauungspause stattgefunden hat. Wie die körperliche Verdauung geschieht die seelische ja nur dann, wenn wir organismisch inaktiv, also trophotrop, eingestellt sind, und der Intellekt sich nicht einmischt (s.a. Texte 24 und 25, «Die Verdauungsmetapher»).
  • Ein weiterer, unmittelbarer Nutzen zeigt sich darin, dass die «Echotrance» eine Art Schleuse zwischen der therapeutischen Arbeit in der Sitzung und dem Alltag, der unmittelbar vor der Praxistüre wartet, bildet. Nicht wenige Patienten müssen ihre Therapiesitzungen in ein dichtes Alltagsprogramm hineinquetschen. Nach der Sitzung rennen sie gleich zum Parkhaus, oder sie checken noch im Gang der Praxis rasch die verpassten Anrufe auf dem Handy, oder sie müssen, wenn sie nicht schon verspätet sind, die Kinder von der Schule abholen. Wo bleiben da die Zeit und die Ruhe, um das Highlight zu integrieren? Die «Echotrance» bringt’s.
  • Wir wissen nie – wie wir schon in der Einleitung feststellten – ob ein Highlight in einer Therapie wirklich den Erfolg bringt, den es zu versprechen scheint. Handelt es sich vielleicht nur um ein dramatisches, nicht «echtes» Phantasiegebilde, das beeindrucken will, ohne einen wirklichen emotionalen Inhalt mitzuteilen? Oder sucht der Patient damit unbewusst die Aufmerksamkeit des Therapeuten wieder einmal zu gewinnen? In beiden Beispielen ist vom Highlight wenig therapeutische Wirkung zu erwarten. Die neugierige Neutralität einer «Echotrance» bietet hier den klaren Vorteil, keine illusorischen Bewertungen zu schüren, sondern den Weg für die weitere Arbeit offen zu halten.
  • Zwischen der «Echotrance» und der «hypnotischen Amplifikation des Traums» (s. Text 32) besteht eine methodische Ähnlichkeit. In beiden Herangehensweisen verzichten wir auf eine Suche nach wachen Assoziationen oder nach bewussten Erklärungen zu einem geheimnisvollen Phänomen – im ersten Fall ein Highlight in der Sitzung und im anderen ein Nachttraum. Stattdessen überlassen wir die Sinngebung dem Unbewussten über das Sprachrohr der Trance. Wir lassen gewissermassen den Autor des Phänomens sein Produkt selber kommentieren. Später soll der normal wache Geist gerne daraus entnehmen und darin interpretieren oder deuten, was er möchte. Doch was für die Therapie wichtig ist, überlassen wir gespannt dem realen Verlauf.
  • Als kleiner und vielleicht erstaunlicher Nebeneffekt: Die «Echotrance» erlaubt dem Therapeuten seine Position als «dominanter Beschützer» zu halten. Wir beschäftigten uns im Text 41 («Der Patientenflüsterer – Teil 3») mit dem Thema der animalischen Grundhaltung, die wir als Therapeuten einnehmen müssen, damit der Patient sich sicher geschützt fühlen kann. Ein Aspekt davon ist, dass er keine eigenen Emotionen in den therapeutischen Rahmen einbringen darf. Ist in einer Sitzung ein Highlight gelungen, besteht für ihn die Versuchung, seine eigene Freude einzubringen und auf diese Weise seine neutrale, starke Position einen Moment lang zu verlassen. An sich auf lange Sicht wohl kaum schwerwiegend, aber es wirkt eher schwächend als stärkend für die Therapie. Mit der «Echotrance» schieben wir gewissermassen die gesamte Emotionalität dem Highlight gegenüber ins Feld der Innenwelt des Patienten und bleiben so in einer neutralen Beschützerposition – und der Patient kann weiterarbeiten.


Das wär’s für heute. Und vielleicht mögen Sie sich jetzt noch 5 Minuten Zeit nehmen, um die Augen zu schliessen, in Trance zu sinken und sich dem Echo Ihres Unbewussten auf diesen Text zu öffnen…




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1 Zu diesem Thema liebe ich eine Metapher: Fröhlich flatternde Schmetterlinge auf einer Frühlingswiese betrachte ich lieber, wie sie in Freiheit von Blüte zu Blüte tanzen, als dass ich versuche, sie mit einem Netz einzufangen, in Formol zu konservieren, mit dem passenden lateinischem Namen lege artis zu identifizieren, um sie schliesslich mit einer Stecknadel säuberlich in einem Schaukasten befestigt auszustellen. Solange sie unkontrolliert in Freiheit leben, kann ich sie nur beobachten und mich an ihnen erfreuen. Mein Wissen über sie ist dann vielleicht null, aber zusammen bilden wir einen Moment gemeinsamen Lebens. Das aufgesteckte Tier würde mir sofort den gesamten wissenschaftlichen Hintergrund über dessen Gattung, Anatomie etc. öffnen, und ich könnte unglaublich viele Dinge über diesen Falter wissen, aber… er ist tot.

2 …abgesehen von der eigentlich hintergründigen und sicherlich nicht zentralen, finanziellen Frage des Honorierens dieser fünf Minuten, die allerdings bei manchen Patienten mit versteckter oder offener Neigung zu Pedanterie zum Thema werden könnte.

3 Natürlich kann hier nur die HYPNOSE gemeint sein!